Unter den Sternen von Rio
für den neuen Tonfilm. Viele der Stummfilmstars sahen nämlich gut aus, hatten aber keine schönen Stimmen. Oder sie konnten tanzen, aber nicht singen. Oder sie hatten markante Gesichter und sprachen mit schaurigem bulgarischem Akzent. Einen Akzent hatte zwar auch Bel, doch der schien den Regisseur nicht abzuschrecken. Er fand ihn sogar charmant und für eine exotische Tänzerin durchaus angemessen. Augusto hatte für Bels erste kleine Rolle eine Gage ausgehandelt, von der sie sich ein halbes Jahr lang über Wasser halten konnten, zusammen mit seinem bescheidenen Verdienst reichte es vielleicht für acht Monate. Er fand das sensationell. Bels Kollegen übrigens auch, denn Augustos Verhandlungsgeschick hatte sich schnell unter ihnen herumgesprochen.
»Kannste du mirrr auch Rolle beschaffe?«, bat ihn Enzo Enzonini, der Muskelprotz.
Auch der Akrobat Wladimir und seine Partnerin wollten gerne seine Dienste als Agent in Anspruch nehmen, und Augusto versprach ihnen allen, sich für sie umzuhören. Er war sehr stolz, dass ihn die Künstler schon als »Agenten« betrachteten, was er selber noch gar nicht vermochte. Diese Bezeichnung erschien ihm viel zu hochgestochen – er hatte doch nichts weiter als ein wenig Talent im Organisieren, eine angeborene Frechheit sowie eine sehr kontaktfreudige Ader. Dass dies drei der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit als Künstleragent waren, sollte er erst später begreifen.
Zunächst jedoch galt es, die Blumenfrau zu besänftigen, die ihren Namen vergeblich in der Zeitung gesucht hatte. Er beschaffte ihr einen großen Auftrag zur täglichen Blumenlieferung bei Senhor Pessoa, womit sie sich schmollend zufriedengab. Insgeheim war sie froh darüber, und sie beglückwünschte sich, diesen netten jungen Brasilianer kennengelernt zu haben. Sie hatte doch sofort erkannt, wie vielversprechend er war, dafür hatte sie einen guten Blick, und bestimmt würde er ihr auch in Zukunft als Kunde erhalten bleiben.
Die Musiker, die Augusto für die brasilianische Party einbestellt hatte, waren ebenfalls enttäuscht über den geringen Verdienst, den sie machten. Augusto entschädigte sie reichlich dafür, indem er ihnen ein Engagement beim Film vermittelte. Der Regisseur brauchte schließlich, wenn Bel vernünftig tanzen sollte, auch die richtigen Musiker mit den passenden Samba-Instrumenten. Dass der Agent keine Provision von ihnen verlangte, erstaunte die Musiker über alle Maßen, aber sie ließen es auf sich beruhen.
Und noch etwas tat Augusto, denn nichts hasste er mehr als offene Rechnungen, Geschichten ohne vernünftigen Abschluss, nicht eingelöste Versprechen und unerledigte Dinge: Er schrieb einen langen Brief an Bels Eltern. Das hätten sie schon längst tun sollen, aber es hatte so wenig Erfreuliches zu berichten gegeben, zumindest aus Bels Sicht. Nun jedoch, da der Frühling Einzug gehalten und Bels Stimmung sich rapide verbessert hatte, da sie das Pariser Publikum begeistert und ein kleines Engagement beim Film bekommen hatte, würde sie viel zu erzählen haben. Natürlich erzählte er es an ihrer statt, aber ein paar Zeilen würde sie bestimmt auch noch hinzufügen.
Seine Hauptbeschäftigung bestand derzeit allerdings darin, Bel vom Prassen abzuhalten. Sie schien sich schon als Revue-Star zu sehen, als Hauptdarstellerin in großen Kassenschlagern. Sie träumte vom großen Geld und von Glamour, begriff aber nicht, dass sie bisher nichts weiter war als eine kleine, talentierte Künstlerin, die an einem kleinen, heruntergewirtschafteten Theater eine kleine Nummer gewesen war, dass sie weiterhin erst einmal eine kleine Rolle in einem wahrscheinlich kleinen, wenig beachteten Film spielen würde, und zwar für vergleichsweise wenig Geld. Augusto hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Bel eines Tages groß herauskommen würde. Aber bis dahin musste sie sich zusammenreißen. Sie würden vorerst in ihrem Dienstbotenzimmer wohnen bleiben, und sie würden weiter sparsam leben. Nun ja, mehr oder weniger sparsam. Denn wenn Bel sich eine extravagante Geldausgabe in den Kopf gesetzt hatte, konnte er es ihr nur in den seltensten Fällen ausreden.
»Augusto, lass uns ins ›Maxim’s‹ gehen.«
»Bist du des Wahnsinns? Da kostet uns ein Abend eine Monatsmiete, mindestens. Und da sind noch keine Getränke mit eingerechnet.«
»Glaubst du?«
»Ich weiß es, Schatz.«
»Aber werden wir denn jetzt nicht reich, wo ich beim Film bin? Du erzählst doch überall herum,
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