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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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auf den Espresso warteten. Er gab Marlène Feuer, sie rauchte wieder einen ihrer Zigarillos. In dem Augenblick merkte er, dass irgendetwas unter ihren Tisch gerollt war. Er sah die Rückseite einer Frau, die an einer ganz anderen Stelle danach suchte. Sie schob einen Kinderwagen vor sich her, daher vermutete António, dass dem Baby etwas heruntergefallen sein musste. Und richtig: Als er sich bückte, sah er, dass es sich um einen Schnuller handelte. Er hob ihn auf und rief der Frau zu: »Madame. Ich glaube, Sie suchen das hier.«
    Wie in Zeitlupe drehte die Frau sich um. Als er ihr Gesicht sah, ließ António den Schnuller vor Schreck wieder fallen.
    »Aber …«, flüsterte sie.
    »Mein Gott!«, stieß er hervor.
    »António?«
    »Caro?«
    »Wie … ist das möglich?«, hauchte sie. Ihre Stimme war kaum noch zu hören.
    »Ich dachte, du wärst tot«, sagte er mit ebenfalls leiser Stimme, in der ungläubige Verwunderung lag. Unbewusst waren sie zur portugiesischen Sprache übergegangen.
    »Ich dachte dasselbe von dir.« Sie lächelte ihn zögerlich an, als traue sie ihren Augen nicht und sehe eine Erscheinung.
    »Willst du uns nicht miteinander bekannt machen?«, meldete sich da Marlène.
    »Oh, sicher, verzeiht. Caro, das ist meine … Freundin Marlène. Marlène, das ist meine … gute brasilianische Freundin Caro.«
    »Sehr angenehm.«
    »Freut mich.«
    Die Frauen beäugten einander abschätzend. Was sie jeweils sahen, war nicht gerade ermutigend. Die eine sah eine hinreißende südländische Schönheit mit grünen Katzenaugen, die ihre zierliche Gestalt mit einem schmal geschnittenen Kleid betonte. Die andere sah eine umwerfende Blondine mit akkurat gelegter Wasserwelle, kirschrot bemalten Lippen und perfekt manikürten Fingernägeln, in denen sie einen Zigarillo hielt, der sie noch mondäner wirken ließ.
    »Willst du dich nicht zu uns setzen?«, fragte António, obwohl ihm die spontane Abneigung beider Frauen gegeneinander aufgefallen war.
    »Nein danke, ich muss weiter. Ich bin verabredet«, sagte Caro, die ihren Schreck noch nicht verarbeitet hatte und dem Impuls zu flüchten nur allzu gern nachkommen wollte.
    »Aber … sag mir, wo ich dich erreiche. Wir müssen reden.« António konnte nicht zulassen, dass sie ihm gleich wieder entwischte. »Ich denke, wir haben uns viel zu erzählen, meinst du nicht?«
    »Oh, und ob«, erwiderte Caro. »Du kannst mich anrufen – die Nummer ist … ach, lass sie mich eben aufschreiben. Hast du einen Stift und einen Zettel zur Hand?«
    Er reichte ihr den Stift sowie zwei seiner Visitenkarten. »Hier, eine ist für dich«, und sie notierte ihre Nummer. António sah, dass sie einen Ehering trug, und es versetzte ihm einen schmerzhaften Stich.
    »Na dann …«, setzte Caro zu einer Verabschiedung an.
    »Ja«, bemerkte António und fühlte sich wie ein Idiot.
    »Bis demnächst vielleicht.«
    »Ja, bis bald. Bestimmt.«
    Caro drehte sich um und schob den Kinderwagen so heftig an, dass das Kind darin schrie.
    Als sie fort war, sahen António und Marlène einander an.
    »Sie ist mehr als nur eine alte Freundin, oder?«, fragte sie.
    »Ja.«
    »Ihr hattet euch aus den Augen verloren?«
    »Wir haben geglaubt … ja.« Erst jetzt bemerkte António, wie unhöflich es gegenüber Marlène gewesen war, sich auf Portugiesisch zu unterhalten, sofern von einer Unterhaltung überhaupt die Rede sein konnte. Es war ja mehr ein hilfloses Gestammel gewesen.
    »Willst du jetzt nach Hause gehen?«
    »Ja, am liebsten.«
    Sie nickte ernst. Sie war ja nicht blind. Die Spannung zwischen den beiden war mit Händen greifbar gewesen. Und das Baby, dessen Karre so gestanden hatte, dass nur sie hineinsehen konnte, hatte große Ähnlichkeit mit António gehabt. Sie würde es ihm jetzt nicht sagen, er war ohnehin aufgewühlt genug. Er würde es noch früh genug feststellen.
    Sie bezahlten und gingen.
    Den Schnuller unter dem Tisch bemerkte erst der vierte Gast, der nach ihnen an diesem Tisch saß, weil sein Hund genussvoll daran herumnagte.
     
    Caro war völlig aufgelöst, als sie zu Hause ankam. Was hatte das zu bedeuten? Wieso lebte er? Hatte er seinen Tod nur vorgetäuscht, um sich nach der unerquicklichen Geschichte mit der geplatzten Hochzeit und dem Attentat von Eduardo keinen unbequemen Fragen stellen zu müssen? Hatte er vielleicht von ihrer Schwangerschaft erfahren und sich vor der Verantwortung drücken wollen? Oder war sie – eine ungeheuerliche Vermutung, die sie lieber nicht zu Ende

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