Unter den Sternen von Rio
Freundschaft verband. António hasste sich dafür, dass er Henriques Braut begehrte. Es war moralisch verwerflich. Es war ekelhaft.
Er
war ekelhaft. Andererseits bestand ja noch ein Funken Hoffnung, denn noch waren die beiden nicht verheiratet. Und wenn er es sich recht überlegte, wäre es nur zu Henriques Vorteil, wenn er ihm die Frau ausspannte. Die beiden passten doch gar nicht zueinander. Halt, stopp! Er musste sich solche Gedanken verbieten. Er redete sich die Lage nur schön, versuchte einen Schritt zu rechtfertigen, für den es keinerlei Entschuldigung gab. Nein und nochmals nein – er würde dafür sorgen, dass er und Caro sich nie wiedersahen. Irgendwann würde er sie vergessen haben.
Mit Feuereifer stürzte er sich auf die technischen Unterlagen, die seinen Schreibtisch und den halben Fußboden seines Arbeitszimmers bedeckten. Mit João Ribeiro de Barros hatte er wenigstens die Chance zu gewinnen.
Kaum eine Woche später begegnete er Henrique bei einem wissenschaftlichen Vortrag über die Entwicklung neuartiger Baumaterialien in der ehrwürdigen Biblioteca Nacional, die als Veranstaltungsort dafür denkbar ungeeignet war. Wahrscheinlich hatte der Redner, ein berühmter Professor, sich diesen festlichen Rahmen gewünscht. Als António seinen Freund sah, schämte er sich augenblicklich für alle Gedanken, die er jemals in Bezug auf Caro gehabt hatte. Man musste ihm sein schlechtes Gewissen angesehen haben, denn prompt fragte Henrique: »Sag mal, meidest du mich etwa? Ich weiß, Ana Carolinas Betragen an diesem Abend bei dir war nicht gerade, ähm, untadelig. Ich entschuldige mich in aller Form dafür. Aber sie ist …«
»Sprich nicht weiter«, unterbrach António ihn. »Es hat gar nichts mit dir oder mit ihr zu tun. Deine Braut finde ich ganz reizend, glaub mir. Es ist nur …«, hier hielt er einen Moment inne, um sich einen glaubwürdigen Grund für seine betretene Miene einfallen zu lassen, »… dieser erhabene Ort. Und all diese Leute hier, die keine Ahnung von Technik haben, sondern sich mehr für die Häppchen interessieren, die nach dem Vortrag gereicht werden.«
»Ja, heutzutage gilt es als schick, sich auf solchen Veranstaltungen blicken zu lassen. Der Fortschrittsglaube unserer Nation ist nur leider sehr viel größer als die Bereitschaft, dafür in die Tasche zu greifen.«
»Ich habe davon gehört«, sagte António bedauernd.
Erneut waren die Arbeiten an der Christusstatue aus Geldmangel zum Erliegen gekommen. Henrique gehörte zu jenen Ingenieuren, deren Gehalt nicht mehr bezahlt werden konnte, was ihm jedoch nicht unbedingt Kopfzerbrechen bereitete. Dank seiner Schwiegermutter in spe hatte er ein paar lukrative Aufträge zur Berechnung der Statik bei einigen sehr ehrgeizigen Neubauvorhaben erhalten. Dass Dona Vitória sich für ihn einsetzte, störte ihn nicht sonderlich. Die anderen Ingenieure und Architekten nutzten ja ebenfalls schamlos jede Verbindung aus, um Aufträge zu ergattern. Im Übrigen wusste er genau, wo seine Stärken und wo seine Schwächen lagen. Ohne ihre Fürsprache hätte er nicht den Hauch einer Chance gehabt: Ellbogenmentalität gehörte so gar nicht zu seinen Eigenschaften.
»Ach, irgendwann wird es schon weitergehen. Wenn alle Stricke reißen, wird sich wohl die katholische Kirche unserer Statue erbarmen. Sie können ja schlecht einen unvollendeten Christus auf dem höchsten Berg im Stadtgebiet stehen lassen.«
António lachte. »Nein, das würde kein gutes Licht auf sie werfen.«
Ihre Skepsis gegenüber den Lehren des Katholizismus gehörte zu jenen Dingen, die die beiden Freunde einte. So unterschiedlich sie auch in ihrem Charakter und ihrem Temperament waren, so sehr vertraten sie dieselben Überzeugungen, wenn es sich um Kirche und Staat, Militär und Macht handelte.
Ein Raunen ging durch den Saal, als der berühmte Redner an sein Pult trat, sich räusperte und mit seinen Unterlagen raschelte.
»Komm, mein Alter, lass uns einen Platz in der ersten Reihe finden. Dort trauen sich die anderen nie hin – als wären sie in der Schule und hätten Angst, drangenommen zu werden.«
Henrique lächelte zustimmend, fragte sich aber insgeheim, ob ihm in seiner Schullaufbahn irgendetwas entgangen war. Er hatte meist in der ersten Reihe gesessen, weil es mit seiner Sehschärfe nicht zum Besten stand. Aber er hätte sich immer gemeldet, auch wenn er ganz hinten gesessen hätte.
Nach dem ermüdenden Vortrag, der weder für den Haus- noch für den
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