Unter den Sternen von Rio
und ließen die feuchte, salzige Nachtluft herein. Wäre es nicht so schwül gewesen, hätte man sich durchaus in einem avantgardistischen Salon in Berlin oder Paris glauben können.
António stellte die Neuankömmlinge und die anderen Gäste einander vor, wobei Henrique sehr viele von ihnen noch von früher kannte. Einige Namen waren auch Ana Carolina geläufig, und sie wunderte sich, warum sie diesen Leuten nicht schon vorher begegnet war. Die obere Gesellschaftsschicht Rios war überschaubar, man kannte sich. Vielleicht lag es an dem Altersunterschied. Die Mehrzahl der Gäste war zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, schätzte Ana Carolina, was sie in ihren Augen nur noch bedeutender erscheinen ließ. Sie fühlte sich hier auf einmal sehr jung und unerfahren.
Unauffällig musterte sie die anwesenden Frauen. Welche von ihnen mochte wohl die Geliebte Antónios sein? Die Dunkelblonde mit dem Schlafzimmerblick? Aber nein, ein Herr saß ja auf der Lehne ihres Sessels und hatte den Arm um sie gelegt. War es vielleicht die rassige Schwarzhaarige mit den grellrot geschminkten Lippen und dem viel zu offenherzigen Dekolleté? Wahrscheinlich nicht, sie verschlang einen anderen Mann mit ihren glühenden Blicken. Oder war es die zarte Brünette, die etwas abseits saß und sich kaum an der Unterhaltung beteiligte? Wohl kaum, ein so unauffälliges Mauerblümchen passte nicht zu António. Irgendwann begann Ana Carolina sie alle zu hassen – für ihr gutes Aussehen, ihr mondänes Gehabe, ihre alte Freundschaft zu António. Noch viel mehr hasste sie allerdings sich selber, nämlich dafür, so kleinlich und neidisch zu sein. Das war überhaupt nicht ihre Art.
Henrique und sie gesellten sich zu einer Gruppe, die rund um einen niedrigen Tisch saß, verteilt auf zwei Sofas und mehrere Poufs. Es schien sich um ehemalige Studienkollegen von António und Henrique zu handeln, denn die Männer tauschten alte Geschichten aus, in denen es um trottelige Professoren, Mogeleien beim Examen und durchzechte Nächte ging und über die sie schallend lachten. Die dazugehörigen Frauen heuchelten Vergnügen, doch ihr künstliches Lächeln täuschte nicht über die abgrundtiefe Langeweile hinweg, die sie ergriffen hatte. Eine junge Frau sog mit Hilfe eines silbernen Röhrchens ein weißes Pulver durch die Nase ein, eine andere rauchte, mehr liegend als sitzend, irgendetwas, das süßlich roch.
Ana Carolina hatte bisher nur von so etwas gehört. Sie hatte noch nie die Bekanntschaft von Menschen gemacht, die Rauschgift konsumierten. Es beeindruckte sie irgendwie. Es gehörte zu den Dingen, die anständige Leute nicht taten – und die ihr herrlich verrucht und erwachsen vorkamen. Dennoch hätte sie es um nichts in der Welt selber versucht. Als die schniefende Dame ihr etwas von dem weißen Pulver anbot, schüttelte Ana Carolina vehement mit dem Kopf. »Nein danke«, gelang es ihr noch in einem Ton zu sagen, von dem sie hoffte, dass er nicht ihre Missbilligung ausdrückte.
Die Frau lachte darüber lauthals. »Ist sie nicht entzückend, die kleine Braut des braven Henrique?«, fragte sie in die Runde.
Ana Carolina fand das sehr ungehobelt. Die Frau sprach über sie, als sei sie gar nicht anwesend, so wie es manche Leute auch bei kleinen Kindern taten – was Ana Carolina ebenfalls für eine hässliche Angewohnheit hielt.
»Wie, sagtest du noch«, wandte sie sich deshalb an Henrique, »war der Name dieser … Dame?« Sie hatte laut genug gesprochen, dass alle sie hören konnten. Wenn man in diesen Kreisen nicht miteinander, sondern übereinander sprach, dann wollte sie sich gern diesen Gepflogenheiten anpassen. Henrique war entsetzt über das schlechte Benehmen seiner Verlobten, doch besagte Dame funkelte Ana Carolina belustigt an.
»Wie unverzeihlich von mir!«, schalt Henrique sich. »Ana Carolina, das ist Isadora, kurz Dora, Oliveira. Dora, das ist meine Braut, Ana Carolina Castro da Silva.«
»Doch nicht von
den
Castro da Silvas?«, fragte Dora und zog dabei eine Augenbraue hoch, was sehr apart aussah.
»Genau von denen«, antwortete Henrique stolz. Ihm war offenbar entgangen, dass Ana Carolinas Familienname unter den Anwesenden eine kleine Schockwelle ausgelöst hatte.
»Dann wird ja die fürchterliche Dona Vitória«, bemerkte ein leicht angetrunkener Mann grinsend, »deine Schwiegermutter!«
»So ist es«, bestätigte Henrique. »Aber sie ist keineswegs fürchterlich. Im Übrigen finde ich es äußerst unhöflich, in Ana Carolinas
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