Unter den Sternen von Rio
Gegenwart so über ihre Mutter zu reden.«
»Wieso erfahren wir erst jetzt davon?«, begehrte ein anderer Mann zu wissen.
Weil, dachte Henrique bei sich, wir alle nach dem Studium eigene Wege gegangen sind. Und weil keiner von euch reichen Snobs den Kontakt zu einem strebsamen Mann wie mir hatte halten wollen, der selten auf Partys ging, der keine Drogen nahm und der dem Müßiggang wenig abgewinnen konnte.
»Weil«, sagte er stattdessen, »wir es nicht an die große Glocke gehängt haben. Auch sind die Einladungen zur Hochzeit noch nicht verschickt.«
»Sie sehen Ihrer Frau Mutter sehr ähnlich, wussten Sie das?«, meldete sich nun ein wenig nachdenklich die Dame zu Wort, die träge ihre verbotene Substanz rauchte.
»Der
fürchterlichen
Frau Mutter, meinen Sie? Ja, danke, das wusste ich. Dennoch sollten Sie sich darauf beschränken, Komplimente nur dann zu verteilen, wenn Sie im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte sind«, erwiderte Ana Carolina.
Ein paar der Leute rund um den Couchtisch lachten darüber. Henrique aber wand sich vor Scham. Er kannte die spitze Zunge seiner Braut, und er wusste, wie streitlustig sie manchmal war.
Genau wie ihre Mutter
– aber das hätte er ihr niemals sagen dürfen. Ana Carolina hasste es, mit Dona Vitória verglichen zu werden.
António, der die ganze Szene mit amüsierter Herablassung beobachtet hatte, fand, dass es an der Zeit war, einzugreifen. Er nahm Ana Carolina am Ellbogen und legte zugleich den Arm um die Schultern Henriques. »Kommt mit, ihr beiden, ich will euch jemanden vorstellen.«
»Wie kannst du nur? Gerade jetzt, wo es lustig wird«, rief Dora in gespielter Entrüstung, doch die anderen aus der Gruppe hatten sich schon wieder einem neuen Thema zugewandt.
»Und, wen willst du uns denn nun vorstellen?«, fragte Henrique seinen Freund, als sie ein wenig abseits standen und ein Kellner sie mit frischen Champagnergläsern versorgt hatte.
»Niemanden. Ihr habt ja einen ziemlich guten Eindruck von meinen ›Freunden‹ bekommen. Ich habe einfach alle möglichen Leute von früher eingeladen, die meisten sind mir aber im Laufe der Jahre fremd geworden.« An Ana Carolina gewandt fuhr er fort: »Es tut mir leid, wenn dir jemand zu nahegetreten sein sollte.«
»Schon gut«, sagte sie. Insgeheim wunderte sie sich darüber, dass es sich tatsächlich so verhielt: Man war ihr zu nahegetreten. Es hatte sie geärgert, dass die Leute sich erdreisteten, sich ein Urteil über ihre Mutter zu bilden, die sie doch wahrscheinlich nur vom Hörensagen kannten. Es war verletzend gewesen und hatte in ihr den Impuls ausgelöst, ihre Mutter zu verteidigen. Dass Dona Vitória zuweilen wirklich fürchterlich sein konnte, stand auf einem anderen Blatt.
»Ich finde, du hast dich sehr geschickt aus der Affäre gezogen«, sagte António nun zu ihr.
»›Geschickt‹ ist vielleicht nicht der passende Ausdruck dafür«, widersprach Henrique. »Ich würde da eher von der Brachialmethode sprechen.«
»Was bei dem Bewusstseinszustand der Dame schätzungsweise das Einzige war, was zu ihr durchdrang«, meinte Ana Carolina. »Wer ist sie überhaupt?«
»Eine meiner drei Schwestern.«
Oh. Ana Carolina war peinlich berührt, hielt aber dem forschenden Blick Antónios stand. »Verzeihung.«
»Schon gut.«
Plötzlich brachen die beiden in albernes Gekicher aus, was Henrique dazu brachte, betreten auf einen Punkt in der Ferne zu schauen und so zu tun, als habe er von dem ganzen Gespräch überhaupt nichts mitbekommen. Dies wiederum animierte António und Ana Carolina zu weiteren Heiterkeitsausbrüchen.
»Sei doch nicht so widerlich ernsthaft, mein Lieber«, sagte Ana Carolina zu ihrem Verlobten. »Die Situation ist einfach zu idiotisch, als dass man nicht darüber lachen könnte.«
»Das sehe ich anders.«
»Ach, komm schon, Henrique, deine Braut hat völlig recht. Und nachdem wir nun alle gegenseitig unsere Angehörigen beleidigt haben, sind wir quitt.«
»Ja. Ach, das muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen: Dona Vitória, die Fürchterliche. Ist doch köstlich! Und viel besser als ihr vielzitiertes Carvalho-Pack.«
Henrique sah aus, als würde er ersticken. Sosehr er sich gewünscht hatte, dass sein alter Freund und seine Verlobte einen freundschaftlichen Umgang miteinander zu pflegen imstande sein würden, so wenig behagte ihm nun dieses allzu saloppe Geplänkel. Es gab Dinge, die sprach man einfach nicht aus.
Doch António brach angesichts der neuen Beleidigung in wieherndes
Weitere Kostenlose Bücher