Unter den Sternen von Rio
ergoss sich auf Gehweg und Straße. Ein paar Passanten lachten schadenfroh, einige halfen ihm jedoch, die Früchte wieder einzusammeln. Er bedankte sich wortreich bei den Helfern, als plötzlich ein Auto auf der Straße bremste und laut hupte. Was denn?, dachte António gereizt. Sollte der Fahrer doch einfach die Mango überfahren, die auf die Straße gekullert war. Er klopfte sich den Staub von den Hosenbeinen und setzte schon zu einer bissigen Reaktion auf das Gehupe an, als er erkannte, wer in dem Wagen saß.
Caro.
Wie mondän sie aussah, mit ihrem dünnen Flatterschal, dem modischen Hut und den beige behandschuhten Händen am Lenkrad. Und wie unpassend, sie genau hier zu treffen, am helllichten Tag in dieser Umgebung.
»Brauchst du Hilfe?«, rief sie ihm spöttisch grinsend zu.
»Sieht es etwa danach aus?«
»Eine Schubkarre würde dir wahrscheinlich bessere Dienste erweisen, aber fürs Erste könnte ich mit diesem Automobil aushelfen. Und hiermit.« Sie warf ihm einen Stoffbeutel zu.
António klaubte die restlichen Früchte auf, warf sie in den Beutel und setzte sich auf den Beifahrersitz. Er starrte Caro entgeistert an. Er hätte nicht gedacht, dass sie Auto fuhr. Es war außerdem das erste Mal, dass er von einer Frau chauffiert wurde, noch dazu in einer solchen Edelkarosse.
»Ist das dein Auto?«, fragte er.
»Sozusagen«, antwortete sie.
»Aha. Es gehört also deinen Eltern.«
Sie nickte bejahend.
»Und du hast es dir ausgeliehen? Wissen sie davon?«
»Was soll das werden«, fragte Caro missmutig, »ein Verhör? Eine Standpauke? Ich finde, du könntest dich deiner Retterin gegenüber ein wenig … dankbarer zeigen.« Die Situation war nicht gerade so, wie sie sich ein zufälliges Treffen mit ihm erträumt hätte. Begegnungen dieser Art hatten einen so
alltäglichen
Beigeschmack. Das helle Tageslicht und die typischen Geräusche eines Werktages waren nicht eben romantisch. Außerdem wünschte Ana Carolina sich, sie hätte sich am Morgen mehr Mühe bei der Auswahl ihres Kleids gegeben und ein wenig Lippenstift aufgelegt. Aber die Gelegenheit, sich das Auto zu schnappen, war einfach zu günstig gewesen, als dass sie noch Zeit mit ihrem Aussehen hätte vertrödeln können. In rund zwei Stunden musste sie wieder zurück sein, und sie hatte vorgehabt, an den Stränden von Flamengo und Botafogo entlang und dann durch den Tunnel nach Copacabana zu düsen. Auf der Avenida Atlântica konnte man unter der Woche, wenn kaum Ausflügler unterwegs waren, ordentlich aufs Gas treten.
»Wohin fahren wir?«, fragte António sie.
Ohne nachzudenken, war Caro einfach in der Richtung weitergefahren, in der sie unterwegs gewesen war. »Oh, Verzeihung. Ich war irgendwie in Gedanken, und da habe ich ganz vergessen …«
»Keine Sorge«, schmunzelte António, »ich habe es nicht eilig, nach Hause zu kommen. Wenn es dir nichts ausmacht, begleite ich dich auf deinem Ausflug.«
»Es macht mir nichts aus.« Tatsächlich war Caro ein bisschen aufgeregt. Warum, fragte sie sich, war sie überhaupt so nah an Antónios Haus vorbeigefahren? Konnte es sein, dass sie insgeheim auf eine solche Begegnung, so unwahrscheinlich sie auch sein mochte, gehofft hatte? Der kürzeste Weg nach Copacabana war es jedenfalls nicht. »Lass dich überraschen.«
António bewunderte ihre Fahrweise. Sie fuhr schnell, aber nicht so rasant, dass er Angst bekommen hätte. Sie setzte die Hupe gern ein, aber immer zu Recht. Sie überholte häufig und nutzte Lücken geschickt aus. Alles in allem machte sie den Eindruck einer erfahrenen Fahrerin, die jederzeit die Kontrolle über ihren Wagen hatte. Es imponierte ihm, denn dasselbe konnte man nur von den allerwenigsten Automobilisten in Rio behaupten. Die meisten fuhren rücksichtslos und unbesonnen, und entsprechend hoch war die Zahl der Unfälle.
Hinter dem Túnel do Leme beschleunigte Caro. Es war wenig Verkehr, so dass sie freie Fahrt hatten und in weniger als einer Minute am Strand angelangt waren. Vor ihnen erstreckte sich ein strahlend blauer Atlantik. Linker Hand lag der Stadtteil Leme, rechts von ihnen ging es nach Copacabana. Der Sand glitzerte weiß in der inzwischen hochstehenden Sonne, und die Wellen brachen in schäumendem Getöse. Es waren kaum Menschen am Strand, und auch die Avenida lag verheißungsvoll leer vor ihnen.
Caro gab Gas.
Ein betörendes Glücksgefühl durchströmte sie. Gab es etwas Schöneres, als an einem heißen Sommertag mit offenem Verdeck den Rausch der Geschwindigkeit
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