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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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steckte er ein Extratrinkgeld zu. Leicht schwankend verließ er das Lokal und ging zu seinem Auto, einem nagelneuen Bugatti 35  B, den er für eine sagenhafte Überführungsgebühr mit an Bord des Frachters hatte nehmen können, mit dem er nach Brasilien zurückgekehrt war. Er wusste, dass er zu viel getrunken hatte, um noch am Steuer eines so extravaganten Rennwagens sitzen zu dürfen. Andererseits war ja nichts mehr los auf den Straßen, und allzu weit war es auch nicht nach Hause. In rasantem Tempo brauste er heim, und erst die Beschleunigung und der Fahrtwind riefen in ihm die Erinnerung an das wach, was seine wahre Leidenschaft war. Er würde über Caro hinwegkommen – solange er es mit kraftvollen Motoren, hohen Geschwindigkeiten und gefährlichen Überholmanövern zu tun hatte.
     
    Am nächsten Morgen benötigte er ein ausgiebiges Bad, eine Kanne Kaffee sowie mehrere Aspirin, um einen klaren Kopf zu bekommen und sich wieder seiner Arbeit widmen zu können. Doch bereits nach einer Stunde am Schreibtisch kam der Kopfschmerz zurück. António beschloss, ein gesundes Frühstück aus Obst und Omelette zu sich zu nehmen, um anschließend einen kleinen Spaziergang zu machen. Er hatte bisher kaum etwas von seiner neuen Nachbarschaft gesehen, einzig die vielen Baustellen in seiner Straße waren ihm aufgefallen.
    Als er kurz darauf an einer davon vorbeischlenderte, beobachtete er die Männer auf dem wackligen Gerüst, das aus ein paar Bambusstangen, krummen Brettern und Seilen bestand. Die Arbeiter kletterten in dünnen aufgekrempelten Hosen und ärmellosen Unterhemden darauf herum. Arbeitsschuhe, Helme, robuste Schutzkleidung? Fehlanzeige. Sie hievten die Steine stückweise mit bloßen Händen hinauf, zogen Mörtel in Eimern an Seilen hoch und wirkten alles in allem kaum anders, als es Bauarbeiter im Mittelalter getan haben dürften, wenn sie große Bauwerke errichteten. Es war eine Schande. Am Fehlen von jeglichem Arbeitsschutz merkte man Brasilien dann doch an, wie rückständig es noch war. Nicht einmal Gewerkschaften gab es, und die Arbeiter wurden genauso ausgebeutet wie zu Zeiten der Sklaverei. Wenn ein Mann vom Gerüst stürzte, hatte er eben Pech gehabt – und seine Frau und Kinder ebenfalls. Es war beschämend.
    Wenig später beobachtete António dann eine andere Szene, die ihn wieder mit seinem Heimatland versöhnte. An einem Marktstand saß eine ältere Schwarze, die die köstlichen Früchte der Saison – Ananas, Mangos, Papayas, Bananen, Guaven und Avocados – nicht nur verkaufte, sondern sie auch den Lumpenkindern gab, die sich zwischen den Ständen auf der Suche nach heruntergefallenem oder aussortiertem, matschigem Obst herumtrieben. Die Frau schenkte den Kindern dabei nicht nur besonders schöne Früchte, sondern auch noch ein Lächeln dazu. So etwas hatte er in Europa nie beobachten können.
    Er ging zu dem Stand, um der Frau etwas abzukaufen und ihren zweifellos dürftigen Umsatz ein wenig anzuheben. Als er näher kam, hörte er, dass sie ein populäres Lied vor sich hin summte. Das war auch so etwas, das typisch für Brasilien war: Die Leute sangen, wo und wann sie nur konnten. Die Begeisterung seiner Landsleute für Musik schien grenzenlos. Manchmal sah man Pärchen auf offener Straße ein paar Tanzschritte hinlegen, oft hörte man Jugendliche, die auf primitiven Instrumenten einige Takte spielten. Und immer wieder Gesang. Selbst die ärmsten und elendesten Gestalten hatten andauernd eine Melodie auf den Lippen.
    António war richtiggehend gerührt von der Marktfrau, die ihn kokett anlächelte, als er ihre Waren begutachtete, von ihrer mütterlichen und zugleich mädchenhaften Art. Er kaufte viel mehr, als er allein in einer Woche hätte verzehren können. Dennoch kostete ihn der ganze Berg Obst nur ein paar Vinténs. Gratis dazu erhielt er noch eine Papiertüte, da er keinen Einkaufskorb dabeihatte. António nahm sich vor, in Zukunft immer auf diesem Wochenmarkt einzukaufen, so angetan war er von der Herzlichkeit dieser Frau.
    Mit der schweren Tüte musste er schnurstracks heimgehen, bevor sie noch riss. Aber es war inzwischen ohnehin zu heiß geworden, als dass man noch freiwillig spazieren ging. Er hielt die Tüte mit beiden Armen vor seinem Bauch umklammert und wählte den kürzesten Weg nach Hause. Den Boden vor seinen Füßen sah er nun nicht mehr – und auch nicht das große Loch, das zwischen den Pflastersteinen klaffte. Prompt stolperte er und fiel auf die Knie. Seine Beute

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