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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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breit geworden sind) und stoße mit ihm auf diese schöne Legende an. Die so hochprozentig ja gar nicht ist, aber einen kleinen Vorgeschmack liefert auf die berauschenden Möglichkeiten des Erfindens. Mehr als einem Zufall habe ich es sicherlich auch nicht zu verdanken, keine Schwimmerin geworden zu sein. Ein weiterer Zufall nur und ich wäre es geworden. Warum den ersten Zufall höher schätzen, nur weil er zufällig mit der Wirklichkeit fusioniert hat? Und der gewissermaßen eine feindliche Übernahme durch die Wirklichkeit erlitten hatte, die ich nun rückgängig gemacht und durch die bessere Variante ersetzt habe. Gegen das Schwimmen, anders als beim Reiten, hätte die Mutter auch keine Einwände gehabt, es war nicht lustverdächtig; umso schöner also, wenn nun die nachgelassene Tochter eine nachträgliche Korrektur vornimmt.
    Nach dem Essen begleitet Vico mich, ebenfalls schwankend, die wenigen Schritte vom Restaurant zu dem Haus, in dem ich zu Gast bin. So muss man das wohl nennen, wenn man sich vorübergehend im Paradies aufhalten darf. Er küsst mich auf die Stirn, nennt mich seine Muse, seine Nabelschnur, seine künstlerische Ader – wir sind betrunken! – und wehrt meine Danksagungen lächelnd ab: Kein Paradies ohne Vertreibung! Diese deutet er mit einem liebenswürdigen Klaps auf den Hintern an. Ach, Vico, welch großartiges Talent zur Wörtlichkeit steckt in dir!
    Unter dem dünnen Laken, dem ungerührten Himmel, dem Generalbass der Zikaden verbringe ich die Nacht traumlos, auch wenn mir beim Aufwachen ist, als hätte ich geträumt.

Drei
    Ich bin zurück. In der Stadt, in der ich seit zwanzig Jahren lebe, in der ich mehr gestrandet als gelandet bin. In der ich kein Einkommen, aber mein Auskommen habe. Sie tröstet einen mit Kopien italienischer Bauwerke und verstört zugleich mit ihrer Bräsigkeit. München, Monachium, genau. Schon wieder etwas mit Kloster, Nonnen, vielmehr Mönchen! Nichts ist Zufall, das habe ich begriffen, deshalb stoße ich ständig auf die Vorsehung. Nur, wer ist ihr Agent? Bis ich das nicht weiß, sehe ich mich lieber vor. Und Agent bin ich jetzt ja quasi selbst.
    Auf dem Küchentisch vor mir die vertrauten Gegenstände, Bürgen meiner Existenz. Durch das Fenster Blick auf die Pappel, vom vollen Sommer sattgrün, die ältere Schwester der italienischen. Ich stehe auf und schlage das Kalenderblatt um, das noch den Vormonat anzeigt. Ich bin zurück, also war ich fort?
    Oskar, mein Wohnungsnachbar, hat die Post für mich gesammelt und in ordentlichen Stapeln angeordnet, er ist ein liebenswürdiger Pedant. Hat die Sachen im Griff und liebt Neunzig-Grad-Winkel. Vor seiner Eingangstür stelle ich die mitgebrachte Flasche mit Olivenöl
extra vergine
aus der
Fattoria Fatina
: Die kleine Fee als Abfüllerin, das wird ihm gefallen. Ich lasse die Post unberührt und streife durch die Wohnung wie durch ein neues Revier. Auf der Suche nach einer Lichtung.
    Das Telefon hatte ich abgestellt, ich fürchtete, bei der Rückkehr nur Nachrichten vom Telefonanbieter vorzufinden, von demoskopischen Instituten (immer finden sie mich, die ich bei jeder Meinungsumfrage überfordert bin) und
Studiosus
-Reisen für Reifere. Gegenüber der Wirklichkeit möchte ich mir eine gewisse Unbelehrbarkeit erhalten – kein leichtes Unterfangen in einer Stadt, die einen beharrlich darauf hinweist, dass Menschen ohne Portfolio eher anrüchig sind und in Ludwigshafen oder Buxtehude besser aufgehoben wären.
    Da hilft nur eines: der Viktualienmarkt. Ich mache mich auf den Weg.
    Vom Karl-Valentin-Brunnen aus schaue ich dem geschäftigen und trägen Treiben zu; jemand hat Karl Valentin eine gelbe Rose in die Hand gedrückt, deren Blütenblätter in den erstarrten Bronzefingern leicht zittern. Ich reihe mich ein in die Ströme, die sich um die Stände winden: Sauer Eingelegtes in Töpfen und Tiegeln, fette Käselaibe, polierte Früchte, erdverkrustete Kartoffeln, das Schwert eines Schwertfisches drohend aus dem Eisbett ragend, wagenradgroße Holzofenbrote – für welchen Hunger bloß? –, ein Hin und Her aus Geld und Rückgeld, Waren, Grüßen, Blicken, ein Reigen aus Schürzen und Markisen. Ich bekomme am Käsestand auf der Messerspitze ein Stück Urchrüter gereicht, der nach Walnüssen schmeckt, beim Metzger ein Stück Rohpolnische, beim Obsthändler einen Schnitz Mango, deren Saft wie Bernstein fließt, der Bäcker verteilt Ausgezogne in Häppchen. Die Luft schwärt von Gerüchen, in den Gullis gurgelt es, in der

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