Unter der Hand (German Edition)
den Laken geschält habe. Oder aus den zerwühlten Kissen. Näher heran ans heiße Zentrum der Unzucht wagte sie sich sprachlich nicht.
Wir steigen gemeinsam aus, ich begleite sie auf dem kurzen Weg zu ihrer Freundin und erfahre ihren Namen: Lotte Schuchardt. Über meinen wundert sie sich, sagt dann aber, dass sie Minna elegant finde. Irgendwie adlig. Wir verabschieden uns vor der sagenhaft hässlichen Haustür des Wohnhauses ihrer Freundin, siebziger Jahre, Glasbaustein und Holzimitat. Ich reiche ihr ein Visitenkärtchen und sage ein Sprüchlein dazu: Wenn Sie einmal Hilfe brauchen, mit Ämtern, Einkaufen – oder einfach nur Gesellschaft. Ich komme gern.
Nun schaut sie mich doch misstrauisch an, die wassergrünen Augen verdunkeln sich ein wenig, und ich schaue stumm zurück. Dann hellt sich ihr Gesicht auf, bevor sie klingelt, sagt sie ziemlich sachlich: Eine gute Idee, es gibt ja so viele Alte.
Lotte, flotte Lotte – Lotte. Ich lasse den Namen nachklingen, schmecke ihn ab. Lieber Vico, so heißt sie, die Erste: Lotte.
Lotta
auf Italienisch. Und das bedeutet Kampf. Schöne Aussichten. Ich schließe nicht aus, dass sie in ihrem Kopf die vielen Berichte über betrügerische Angebote an Senioren Revue passieren lässt und sich, von ihrer eigenen Umsichtigkeit angetan, vornimmt, meine liebenswürdigen Angebote auszuschlagen.
Drei Tage später ruft sie an.
Schuchardt
, sagt sie, und weil ich mich nur mit
hallo
gemeldet habe, fragt sie nach:
Minna
? Am Telefon höre ich den ostpreußischen Tonfall stärker heraus, das gerollte r, das weiche g. Mir scheint, der Dialekt konserviert die alten Zeiten, er bettet sie zwischen samtige Kissen und versieht sie wie ein delikates Ausstellungsstück mit der Aufschrift
Vorsicht! Zerbrechlich!
Und mit einer unsichtbaren:
Genau genommen unverwüstlich
.
Ich fahre in den Süden Münchens, wir haben uns für den Nachmittag bei ihr verabredet. Ich bedaure, nicht wie ein Arzt oder Handwerker zu einem Koffer oder Werkzeugkasten greifen zu können, der den Beginn eines sinnvollen Einsatzes markiert und auch mir Halt gegeben hätte. Ich packe ein Buch in meine Handtasche, einen kleinen Kalender, Pfefferminz. Ein Foto von mir als Erstklässerin (keine Ahnung warum), den schönsten Kugelschreiber, den ich besitze und zwei Päckchen feuchte Reinigungstücher, bei irgendwelchen Flugreisen ungeöffnet geblieben. Wenn man das ganze Leben als Notfall betrachtet, ist es naturgemäß schwierig, sich zu rüsten, und letztlich gleichgültig, ob man mit einem Überseekoffer unterwegs ist oder mit einem Beutelchen voller Brotkrumen zum Ausstreuen. Es fehlt das Vertrauen in Rückwege.
Eine stille Straße, viele Birken, der weiße Holzzaun vor ihrer Doppelhaushälfte blättert. Eine Glyzinie ist an der Regenrinne entlang zum Dach hochgeklettert und hat fast die ganze Fassade überwuchert. Ich sehe mich schon auf einer hohen, schwankenden Leiter mit den armdicken Ranken kämpfen, die den Wasserabfluss abschnüren und das ganze Haus in ihrer Umarmung ersticken, dafür zum Trost jedes Frühjahr in violetten Blütenreben explodieren, die überaus verschwenderisch prangen. Viel zu schweres Geschmeide. Und ich sehe mich abstürzen beim ersten Auftrag, im steinernen Trog landen, der mitten im Vorgarten als Vogeltränke steht. Hals- und Beinbruch, Glückwunsch zur Sturzgeburt! Auferstehung als Glückspilz in Lottes Garten.
Auf dem Namensschild am Eingangstörchen steht nur ein Name und der lautet Kaczarek. Nirgends Schuchardt. Ich klingle dennoch, und Lotte steht so schnell in der geöffneten Haustür, dass sie mich beobachtet haben muss.
– Das ist der Name meines verstorbenen Mannes, Schuchardt ist mein Mädchenname.
Ich trete ein, ein schwarz-weiß gefliester Windfang nimmt mich auf, es riecht nach Kampfer und altem Regen. Linkerhand ein Stich von Königsberg. An einem Haken der Wandgarderobe hängen ein Mantel, ein Männerhut und ein Spazierstock. Die Ausrüstung von
Hänschenklein
, nachdem es groß geworden ist, schießt mir durch den Sinn. Nein, an Freuds Trenchcoat in der Berggasse habe ich nicht gedacht. Hier ist nicht Wien, man kann kaum weiter weg von Wien und Aufbruch sein als in diesem Windfang. Hier ist niemand gehbereit, hier ist alles vergangen.
Lotte erklärt: Es muss ja nicht jeder gleich wissen, dass in diesem Haus eine Frau allein wohnt. Ein Mann im Haus, den es nicht gibt, ist ihr lieber als ein echter Hund. Bei der Nachbarin in der anderen Hälfte ist eingebrochen worden, während
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