Unter der Hand (German Edition)
mir, es ist nichts dahinter, es macht mir nur Freude.
Warum ich?
Du kannst es.
Ich mustere Vico so streng, als müsse ich eine Ware vor ihrer Auslieferung auf mögliche Fehler hin untersuchen. Er zuckt nicht mit der Wimper, steht da, der Cashmere-Schal weht ein wenig, die kleinen, hellen Augen blinzeln arglos zum Neptun hinab, die glatt rasierten Wangen glänzen. Nichts liegt bei Vico im Verborgenen, er ist von Kopf bis Fuß Auslage, er ist sein eigener Werbeträger.
Wir stehen vor dem Küchenfenster; die Luke, durch die der Esstisch hinuntergelassen werden kann, ist deutlich zu sehen. Mich befällt eine große Traurigkeit bei der Vorstellung des einsamen Essers, der sich abseilen lässt, weil er Gesellschaft fürchtet und verabscheut. Und ich bin mir selbst gram; ich fühle mich formlos wie eine Amöbe, deren Umriss sich je nach Kontakt verändert. Das finde ich anstößig. So bin ich. Bis zum Erbrechen anpassungsfähig. Heinrich würde eine windige Figur wie Vico niemals akzeptieren, erst recht nicht als Gönner. Er wird mich verachten, wenn er davon erfährt. Ich starre Vico, der noch immer vor der Fensterscheibe steht und über Ludwig nachdenkt, hasserfüllt an; das verstärkt mein Elend, weil ich mich jetzt auch noch der Untreue schuldig mache und den Auftrag, den ich doch einmal erhebend fand, innerlich anschwärze.
In München zurück, wählt Vico ein bayrisches Gasthaus aus, ich trinke eine Maß und der Hass lässt nach. Vico ist hingerissen vom Brauchtum, staunt über alles, alles findet seinen Beifall. Eine große Milde senkt sich über den lauten Gastraum, im Biernebel rührt mich die Sterblichkeit noch des größten Schreihalses am Stammtisch. Vico erzählt von seiner Frau und seinem Sohn, immer wieder durch das Klingeln seines Handys und das folgende, knappe Gespräch unterbrochen; er muss offensichtlich während seiner kurzen Abwesenheit einer ganzen Heerschar von Abhängigen Anweisungen geben, wie sie den Tag zu ihrem und seinem Nutzen zu gestalten haben. Ich erfahre, dass er seine Frau liebt und sich um den Sohn sorgt, der Kunstgeschichte studiert, dass die Fußballleidenschaft bei ihm nicht ganz so heftig ist wie bei seinem Vater. Und er wohnt in einem ausgebauten Dachgeschoss.
Tutto apposto niente in ordine
, alles bestens, nichts in Ordnung, sage ich vorwitzig mit nur vagen Erinnerungen an den Film dieses Titels, allein der ist hängen geblieben. Und das Gefühl, dass es sich dabei um keine Provokation handelt. Vico droht folgsam mit erhobenem Zeigefinger, wir stoßen ein letztes Mal an. Morgen früh werde ich mit meinem Mäzen in die Alte Pinakothek gehen und ihn danach zum Taxistand begleiten. Abfahrt des Rechnungsprüfers und Oberhirten. Die gebündelten Banknoten geben meinem Druck nach, als ich in der Handtasche nach ihnen taste. Als seufzten sie.
Elf
Sie sind nicht da. Heinrich und seine Schülerin Anja sind nicht da. Vico ist abgereist, von Carmelo über den Brenner und stracks in eine wichtige Sitzung gefahren, die ohne ihn eine unwichtige gewesen wäre. Lotte liegt noch im Krankenhaus und wartet auf meinen Besuch. Franz ist aus Regen zurück; wir haben uns noch nicht gesprochen. All dies rechne ich mir vor wie das Einmaleins oder als müsse ich Inventur machen. Aber nach der Inventur habe ich noch immer keine Ahnung, was geblieben ist, welchen Erlös ich veranschlagen darf. Von Erlösung will ich gar nicht reden.
Parwiz ist taktvoll, trinkt in vorsichtigen Schlucken den brühendheißen Kaffee, schlägt sein Heft auf und schaut an mir vorbei.
Erzähl mir von deiner Woche, sage ich und lenke meinen Blick – ich hoffe, er ist fest – auf ihn.
Interessant, sagt er. Physik und Spanisch sind ausgefallen, in Deutsch haben wir über Rezepte gesprochen. Über gesunde Ernährung, Pestalozzi und Charlotte Roche. Ethik, Schularbeit, Thema: Integration – Parwiz grinst –, Englisch, Schularbeit, Erörterung, Thema: Integration, Geschichte, normaler Unterricht bei Ersatzlehrer, Thema: Völkerwanderungen. Also verschone mich.
Womit?
Mit gutem Willen, sagt Parwiz und zieht Karten aus der Bauchtasche seines Pullovers. Spiel lieber das mit mir.
Und so spielen wir, während der neu angeschaffte Zimmerspringbrunnen in der Mitte des Raums plätschert, das
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