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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Zahnstocher herum, die Kieferknochen mahlen, Vico hat mir erklärt, dass er sich das Rauchen abgewöhnt hat – mit einem Chef im Bio-Boom-Sektor erste Angestelltenpflicht – und die oralen, libidinösen Defizite so ausgleicht. Vom Gespräch mit der Sekretärin verstehe ich nur Vicos wieder formelhaft wiederholten Satz
per dirti la verità
, also
um bei der Wahrheit zu bleiben
. Eine solche Hervorhebung lässt mich erneut annehmen, dass die Versuchung zu lügen beständig und groß ist. Wir sind da, der Kies knirscht unter den Autoreifen, rasant biegt Carmelo in den Parkplatz ein, öffnet uns, erst Vico, dann mir, die Autotür und lässt sich wieder auf den Fahrersitz fallen, die merkwürdig hautfarbene
Gazzetta dello Sport
unter seinem Hintern hervorziehend. Ich klopfe mir die Kleider aus wie nach einer langen Reise in staubige Gefilde und ernte einen belustigten Blick Vicos. Wünsche Heinrichs Hände auf meinen Hüften. Habe keine Lust, ohne ihn zu atmen.
    Misslaunig stapfe ich neben dem bestens gelaunten Vico auf die beiden gewaltigen Pfauen zu, die am Eingang des Schlosses warten. Ich interessiere mich kaum für Ludwig II., habe aber nicht zum ersten Mal mit einem Mann zu tun, der den
Kini
bewundert, auch Franz gehört in diese Kategorie. Er liebt mehr den Exzentriker, Vico mehr den Wahnsinnigen, Franz findet Schwanenhälse als Wasserhähne dekadent, Vico versteht nicht, wie man auf einer versenkbaren Bodenplatte einen Tisch befestigen kann, um ihn im Notfall samt Speisen in die im Keller gelegene Küche hinabsinken zu lassen – eine Konstruktion, durch welche die Einsamkeit beim Essen unter allen Umständen gewahrt bleiben kann. Vico ignoriert die sexuellen Vorlieben des weichgesichtigen Monarchen, Franz sieht darin ein kurioses machtpolitisches Moment der Leistungsverweigerung, im Sinne von: Meinetwegen kann die Monarchie, kann die Menschheit aussterben. Während wir durch die Säle schreiten, vertrete ich aus reiner Kampflust Franz’ Positionen, die an Vico abprallen; er ist damit beschäftigt, die ausgestellte Pracht zu bestaunen und die Öde, die über allem liegt, auszublenden. Er nennt mich
piccola
, und ein Blick in einen der Spiegel im Spiegelsaal, vielfach gebrochen, reicht, um ihm recht zu geben: Neben ihm sehe ich aus wie die Tochter zu Füßen ihres baumlangen Vaters. Heinrich und ich dagegen können einander mühelos in die Augen schauen. Durch die hohen Fenster bricht unversehens ein Lichtbalken; die Sonne hat sich zwischen Wolken hervorgeschoben, ein Strahl weist auf mich wie ein Finger, in der Lichtbahn deliriert der besonnte Staub. Der schwere Pomp der Räume macht mir zu schaffen, die
d’Annunzios
würden sich hier sicherlich wohlfühlen. Ich dränge Vico nach draußen, er seufzt theatralisch angesichts der vielen Stufen, die hinauf zum Venustempel führen.
Dass Frauen es einem immer schwer machen müssen
.
    Wir erreichen schnaufend die Göttin, Vico wischt sich mit einem riesigen Taschentuch, das die
bellissima germanista
gebügelt haben mag, die feuchte Stirn ab. Dann zieht er aus der inneren Brusttasche seines Sakkos den zweiten dicken Umschlag und überreicht ihn mir feierlich.
Für deine Mühen
. Ich bedanke mich, keuche noch ein bisschen und überreiche meinerseits
Fidelio
, sage: Ich hoffe, du magst Beethoven.
    Come no!
, ruft Vico und schaut zur Venus, als müsse die sein Unverständnis teilen.
Er heißt doch auch Ludwig!
Meint er das ernst? Ich werde auch dieses Mal nicht schlau aus ihm. Er fragt nicht nach meinen Aufzeichnungen, ich bin erleichtert und besorgt zugleich. Versenke den Umschlag hastig in meiner Handtasche. Ehrlich Verdientes aus Bio-Gas-Gewinnung, dem Rohstoff der Zukunft? Oder Schwarzgeld, das ich wasche, indem ich weiße Blätter fülle? Die Wasserkaskaden ergießen sich mit Getöse in die Tiefe. Unten, vor dem Schloss, steht Neptun in der Mitte seines riesigen Brunnens und hält den Dreizack für alle Fälle bereit.
    Menschen wie du, sagt Vico, unterbricht sich, setzt erneut an: Frauen wie du brauchen Unterstützung.
    Wie meinst du das? Frauen wie ich? Findest du, ich gehöre einer bedrohten Spezies an? Oder kümmerst du dich um mich als Leibeigene?
    Irgendwie schon, sagt Vico, und ich spüre, wie ich wütend werde. So viel Feudalismus auf einmal.
    Feudalismus?, fragt Vico erstaunt zurück. Was hast du dagegen? Es war für alle gesorgt. Du sollst auch unbesorgt sein.
    Die Glücks-Connection: Du denkst an meins, ich an das der anderen?
    So ungefähr,
cara
, glaub

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