Unter der Hand (German Edition)
Rettungsringe um ihre Taillen, ich erinnere mich, sie aus Korken selbst gebastelt zu haben. Gegen den Untergang. Im Hintergrund der schwarze Fluss, dessen Geruch mir sofort in die Nase steigt: metallisch, sakral, stockig. Eine Puppe ließ ich ertrinken; ich konnte der mächtigen Lust, Schicksal zu spielen, nichts Gleichwertiges entgegensetzen. Rudi war der einzige Mann in der Puppentruppe, er zeichnete sich durch Sangeslust aus, man konnte seinen Kopf zum Singen und Schmettern weit in den Nacken biegen, damit war es dann nach seinem Untergang vorbei. Keine Trink- und Soldatenlieder mehr, kein
armes, welsches Teufli
war mehr
müde vom Marschieren
. Vielleicht sollte sich einmal ein Soziologe oder Historiker des Liedguts annehmen, mit dem meine Generation groß geworden ist, jedenfalls des väterlichen: Saufen, Huren, Schießen. Tagsüber saßen all diese Väter in ihren Büros, Fabrikhallen, Lehrerzimmern, in ihren Kehlen aber hielt sich das zusammengepanschte Gebräu aus Grausamkeit, Zote und Sentimentalität für die Sangeseinlagen an Feiertagen ewig frisch. Ich beende hier den innerlichen Stammtisch der Entrüstungen – oder handelt es sich dabei um echten Einspruch, echte Empörung? Mal wieder keine Ahnung – und trage die Alben zurück auf ihren Platz im Regal. Spüre den Wein wattig um mich vernebeln, der Abstand zum Boden ist unbekannt, meine Schritte entsprechend tastend. Dort, wo die Alben standen, liegt kein Staub.
Als das Telefon klingelt, weiß ich, dass es Heinrich ist. Mein
Hallo
ist überstürzt, die Zunge im Weg. Minna, sagt Heinrich, schön, dass ich dich erreiche. Störe ich? – Nein, ich freue mich.
Ich halte vor Erschöpfung inne, die Strecke – zwei Erdumkreisungen – vom Traum bis zur Stimme in meinem Ohr, von Vertrautheit zur Unvertrautheit habe ich in Rekordzeit zurückgelegt; nun fehlt mir die Luft zum Sprechen.
Wir verabreden uns für den folgenden Abend.
Das hättest du mich doch auch in der LernForm fragen können.
Nein, sagt Heinrich, ich will keine Gelegenheit nutzen, sondern sie finden.
Mit diesem schönen Satz gehe ich zu Bett, wohne ihm bei, es ist viel zu früh, noch nicht einmal zehn Uhr, aber ich weiß nicht mehr, was ich mit dem Tagesrest anfangen könnte, außer die Weinflasche zu leeren. Der Frohsinn des Morgens ist verflogen, ich fühle mich brach. Immerhin kein Geld ausgegeben heute und niemanden gekränkt. Als ich nicht einschlafen kann, krieche ich zum Fernsehen auf die Couch im Wohnzimmer, schaue in die geschminkten Gesichter der Talk-Show-Gäste, stelle fest, dass die Frauen die Beine übereinanderschlagen, die Männer nicht, die Redeanteile proportional zum Körpergewicht sind, die Wassergläser der Frauen schneller ausgetrunken werden. Die Moderatorin räkelt sich und wippt mit den spitzen Schuhen, heftig immer dann, wenn es ein Wortgemenge gibt, das sie nicht schlichten kann. Es geht um den Bau von Moscheen, um den Islam. Einige Teilnehmer lassen im unteren Bereich der Stimme ein sonores Schaben hören, mit dem sie die Warnung vor der seuchenartigen Ausbreitung verkeimten Ideenguts wirkungsvoll begleiten. In uns, wir wissen es nur nicht, läuft längst der Countdown der Inkubationszeit. Was für ein
Incubo
ruft der nächste, spontan geistreich, in der Runde aus, offensichtlich des Italienischen mächtig –
Albtraum
heißt das – und bekommt Szenenapplaus. Er wirft sich in die federnde Rückenlehne des teuren Stuhls und strahlt wie der Karnevalsprinz vom Mainzer Fastnachtszug, wenn er zwei Handvoll Karamellen unters Volk verteilt hatte. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Da war morgen schon heute – der Tag, an dem ich Heinrich treffen würde. Er hatte sich eingestellt, während ich schlief.
Vierzehn
In großer Eile. Frühstück auf dem Weg zu den
d’Annunzios. Coffee to go
in der Hand, Croissant in der Tasche: Sofort stellt sich das Gefühl ein, bedeutende Beiträge zum Bruttosozialprodukt zu leisten. Jemand, der seine Mahlzeiten auf dem Weg zur Arbeit zu sich nimmt, muss für die Gesellschaft unentbehrlich sein. Aus Trotz habe ich dennoch bei der Bestellung des Kaffees die englischen Größenangaben, small, medium, large, ignoriert und
normal
gesagt. Der Verkäufer betet mit bayrischem Akzent geduldig die Alternativen herunter, und ich tippe wortlos auf jenen der drei ausgestellten Becher, der meinen Vorstellungen von
normal
entspricht. Kein Problem, sagt der schwungvolle Mann hinterm Tresen daraufhin, so, als räume er mir als toleranter Weltbürger
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