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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Straßenbeleuchtung scheint durch die Ritzen der Fensterläden. Franz’ und mein Schlafanzug liegen am Fußende des Betts herzlich vereint wie Zwillinge.
    Ich wende Franz den Rücken zu, seine Fingerspitzen ertasten das Kreuzbein, drücken, kneten.
    Ich bin sehr müde, sagt er nach wenigen Minuten, in denen ich zur Erholung alles Denken angehalten habe, du bist doch nicht böse?
    Nein, sage ich, gar nicht, schlaf gut. Ich drehe mich zu ihm um und erahne sein Gesicht. Danke für die Massage, danke für alles.
    Als ich seine Wange berühre, fühle ich die Bartstoppeln, die noch nicht sichtbar waren. Heute Nacht würden sie weiter wachsen, Haare und Nägel auch, die Herzen pumpen, die Lungen atmen. Nochmals sage ich ins Dämmrige hinein:
Danke für alles
.
    Beim Einschlafen ist Heinrich da; nah, ich nehme mit beiden Händen vorsichtig seine Brille ab, wir küssen uns, und ich möchte nie wieder seine Zunge verlassen. Ich bin ein wenig erstaunt über das kaum Erotische dieser Träumerei und vermute: Mal wieder Frühchen-Gebresten. Das Fehlen von nährender Nähe. Säugling, ja das war ich in dieser traumähnlichen Einstellung, Heinrichs Säugling. Ein Rückfall? Ein Vorfall? Ein Fall von Liebe? Oder bloß der Verfall der uralten, kinderlosen, verwüsteten Minna. Grübeleien, die sich, gefiederten Wolken ähnlich, allmählich auflösen, im Vorfeld des Schlafs. Wer hätte je gedacht, dass ich mich zur Buchführung eigne. Der letzte, am Rockzipfel erwischte Gedanke.
    Als ich aufwache, ist die Enttäuschung groß, nicht von Heinrich geträumt zu haben. Gar nicht geträumt zu haben. Neben mir schläft Franz noch tief, die Augenlider zucken. Er wenigstens träumt. Ich decke ihn behutsam auf, das Pyjamaoberteil ist verrutscht und gibt den behaarten Bauch frei. Kindlich und männlich in einem. Er ist so wehrlos, ich könnte ihn spielend umbringen. Er ist mir ausgeliefert im Schlaf. Ich könnte ihn ersticken, erwürgen, erstechen. Derlei Grausames geht mir durch den Kopf, fuhrwerkt darin, sicherlich, weil solche Blicke früher auf mir lagen! Die Mutter erblickte ihr hechelndes Molch-Kind, das unter dem Rotlicht so unappetitlich gar nicht aussah, und wünschte es sich tot. Aus Mitgefühl und aus Abneigung, 1 (ein) Widerspruch findet mühelos in jedem Brustkorb Platz. Jetzt sind diese mordlustigen Blicke Teil von mir, vor langer Zeit eingesaugt und einverleibt und – wie in diesem Moment – boshaft gegenwärtig. Behutsam ziehe ich Franz’ Oberteil wieder hinunter und murmle eine kleine Entschuldigung: Tut mir leid. War nicht so gemeint. Er liegt mit unter der Wange verschränkten Händen, sehr anmutig und still.
    Ich krieche zurück unter die Decke, der Tag kann warten.
    Und nun, in dieser ungewissen Stunde, hell bereits, aber noch verhangen, der Straßenlärm hinter verschlossenen Fenstern kaum mehr als ein matt-ferner Druck, träume ich doch. Die Inbesitznahme unserer Körper, Heinrich leibhaftig, Blutrauschen, ein warmer Mund, spendabel, Hände in schönster Feststellung, dann wissen wir mehr und küssen auf und ab, hinten im Raum ein Aquarium, worin die Wellen hoch schlagen, die unseren Atem flach halten. Was kümmert mich die Kybernetik. Der ganze Mann in meinen Armen; ein Ausbund an Lebendigkeit, ein Sterblicher. Alles vermischt sich, sprudelnd und still.

Dreizehn
    Der neue Tag beginnt spät und gut. Den Traum trage ich als Keimling in mir, hoffungsträchtig. Ich meine, einen Schimmer auf dem Haar zu erkennen, der sonst, nach nachtlanger Reibung mit dem drangsalierten Kissen, nicht auftritt. Im Gegenteil: Morgens, beim Aufstehen, ist das Haar so verlegen und glanzlos wie seine Besitzerin.
    Franz kommentiert lächelnd meinen Appetit mit der Bemerkung, er sei postkoital ohne Koitus. In unserem Alter freut man sich über jeden Appetit, sage ich und beiße in die dick mit Frühlingsquark bestrichene Semmel, und außerdem – das sage ich nicht mehr laut – habe ich heute Nacht, nein, heute Früh, die schönste Verausgabung erlebt, das macht hungrig.
    Franz betrachtet mich ausführlich, die Zusammenfassung fällt so aus: Mit dir ist heute kein Staat zu machen.
    Warum?
    Nimm es als Kompliment, sagt Franz.
    Dann reden wir freundlich miteinander über den Frühstückstisch hinweg, auf dem die richtigen Dinge stehen, dazu im Hintergrund Musik aus dem Radio, Klassik-Häppchen, an der Kleiderstange auf dem Balkon erholt sich die Strickjacke vom Wärmen. Wir sitzen zu zweit und sind zu viert. Beide geben wir uns Mühe, durch

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