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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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Angebot akzeptiert. Das Haus roch nach Krieg. Und ich bin nicht die begabteste Anlegerin und Vermehrerin von Kapital. Ich verschwende die Ressourcen – nur kommt bei mir kein Fest dabei heraus. Nachhilfe und Hausbetreuungen sichern das Bezahlen der Miete und der laufenden Kosten, alles andere muss zusätzlich verdient werden. Ich werde das Korrekturlesen für die aktuellen DUDEN-Ausgaben wieder aufnehmen müssen; etwas, zu dem ich mich ständig aufrufen muss und was ich im Übermut des Schreibauftrags durch Vico habe schleifen lassen.
    Ich gehe zu Fuß in die Reha-Klinik, in die Lotte verlegt wurde. Die Villenalleen werden zu Ausfallstraßen; Einkaufszentren, Bürotürme und teure Restaurants für Spesengäste tauchen auf, siebziger Jahre, viel Waschbeton, viel Glas, viel Hartherzigkeit. Die oberen Stockwerke eines
Sheraton
-Hotels beherbergen eine Privatklinik, deren Patienten vorwiegend aus den arabischen Ölstaaten kommen. Ihre Entourage – Frauen, Kinder, Kindermädchen – zieht schleppende Runden durch die zugigen Passagen, endet in Plätzen, die nichts mit
piazza
zu tun haben und sie in die nächste Passage verstoßen. In der Mitte eines solchen Platzes spuckt eine Fontäne in lahmem Bogen Wasser in einen Trog, der aussieht wie ein offener Sarg. Zwei Holzpferdchen auf Spiralen sollen Kinder zum Reiten einladen, die halten sie aber wohl eher für Kunst im öffentlichen Raum und meiden sie. So übernehmen die Tauben und scheißen auf die Sättel. Alle Straßen heißen nach Strauss-Opern, eine zusätzliche Bosheit.
    Im Foyer des Krankenhauses kaufe ich für Lotte einen Strauß Freesien, die Lieblingsblumen meiner Großmutter. Es ist mir egal, dass sie das Doppelte kosten, ich atme ihren lieblichen Duft ein, und da ist sie, die Großmutter, das Omale, in seinem Wohnzimmer, auf dem Esstisch die betörenden Freesien, sie auf dem bequemen Sessel, breithüftig, die Beine geschwollen und gewickelt. Ihre Hände liegen auf den Oberschenkeln, streichen auf und ab, das knistert leise, weil ihre Haut rau ist, kleine, schwarze Furchen von der Küchenarbeit lassen sich beim Daumen und Zeigefinger der rechten Hand gar nicht mehr wegwaschen. Das Gefühl auf meiner Wange, von diesem zarten Schmirgelpapier besänftigt zu werden, bleibt mir erhalten, bis ich an Lottes Türe klopfe.
    In ihren Augen hellt sich etwas auf. Ruth!, ruft sie, und als ich sage: Ich bin’s, nur Minna, schließt sie sofort an: Wie sehr Sie ihr ähneln!
    Wer ist Ruth?
    Eine Klassenkameradin aus Tapiau.
    Die Freesien freuen sie, sie steckt die Nase in die trompetenförmigen Blüten und atmet tief ein.
Wie bei uns ganz zu Hause
. Wir essen gemeinsam Pralinen auf, die ihr die Freundin gebracht hat, zu der sie bei unserer ersten Begegnung unterwegs war. Ich bin froh, dass ich nicht die einzige Besucherin bin. Aber auch leicht verdrossen, wie ich mit Verwunderung feststelle.
    Bis wir mit dem Rollator den langen Gang zum Aufzug bewältigt haben, ins Erdgeschoss gefahren sind und den kleinen Park betreten, hat sich der Tag ein mildes Licht zugelegt, das wie ein Segen auf dem Laub der Bäume liegt. Ich erfahre, während wir langsam die Wege abschreiten, Lotte in kurzen, unsicheren Schritten, dass Ruth, genannt Ruthchen, in Bad Honnef lebt und früher, als Kind, auf die höchsten Bäume kletterte und alle durch ihre Unerschrockenheit beglückte. Lotte sagt: Ich war immer ein erschrockenes Kind. Wir gehen und gehen, irgendwann fällt es mir leicht, die Schrittlänge zu verkürzen, eine Hand am Rollator und mit Lotte zusammen die Spatzen und Eichhörnchen zu beobachten. Sie lacht über deren Kapriolen und nimmt es mir nicht übel, als ich sie an ihr hartes Regime im eigenen Garten erinnere, daran, wie ich selbst einmal mit dem Besen zur Verteidigung der Begonien einschreiten musste. Sie sagt ganz unbefangen: Ja, sagt sie, meistens sind mir die Tiere im Fernsehen lieber, und auf der Bank, die sie mittlerweile angesteuert hat, zeigt sie neben sich, und ich setze mich zu ihr. Der Morgenmantel in leuchtendem Türkis steht ihr gut. Sie nimmt das Kompliment gelassen auf, bekräftigt. Ja, er passt zu meinen Augen. Wie sie einmal waren. Ich schaue sie sehr genau an; die Iris ist blassgrün verschleiert, als wäre die ursprüngliche Farbe beim Wasserfarbenmalen verwirbelt und halb ausgeschwemmt worden. Die Augen alter Menschen bleichen aus wie das
Fade-out
beim Film; das Leben als ein sehr allmählicher Farbschwund – so lässt es sich doch ertragen, das Ende. Als Übergang

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