Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
Vom Netzwerk:
selbstverständlich ein, ein Idiot zu bleiben, wenn ich das so wolle. Ich verbrenne mich am heißen Kaffee, der durch den Strohhalm einschießt und fühle mich linkisch wie ein über Texthürden stolpernder Schauspieler. Mit dem Fuß hole ich nach einer Taube aus, die mit kurzen, dummen Bewegungen, bei denen ihr Hals ruckend zuckt, unsichtbare Krümel aufpickt. Sie nimmt mich nicht ernst und pickt weiter. Ich schütte einen Teil meines Kaffees über ihr aus, sie flattert, wenige Zentimeter über dem Boden, gelangweilt davon. Ich möchte emigrieren. Auf der Stelle. In ein taubenfreies Land, in ein Land, in dem Menschen Strafe zahlen müssen, wenn sie
coffee to go
sagen. Und Heinrich sollte der Beauftragte für Migrationsfragen sein.
    Bei den
d’Annunzios
sortiere ich die Post, öffne die Fenster, gieße die Blumen und wische den Staub von den kiloschweren Bildbänden, die auf dem Couchtisch liegen. Seit ich für die
d’Annunzios
arbeite – seit über einem Jahr –, liegen die Bücher in unveränderter Anordnung: Ein Bildband ist aufgeschlagen, drei sind gestapelt, zwei liegen nebeneinander. Unter der Lampe, auf dem kleinen runden Sockel, ein ledernes Notizbuch mit eingeklemmtem Bleistift. Saß je jemand hier, blätterte in den Bänden und schrieb seine Gedanken nieder zu
Indigenous Art
oder
Das Licht bei Sebastiano Piombo
oder dem
Hyperrealismus. Der Fotograf Jeff Wall?
Mein Verdacht ist, dass die ausgewählten Bände mit den Farben des Teppichs und der Vorhänge harmonieren und später dann im Regal verschwinden werden und anderen Platz machen, wenn sich die Hausherrin für ein neues Design entscheidet. Warum nicht, es gibt sicherlich Schlimmeres auf der Welt zu beklagen, als Menschen, die ihr Geld für Kunstbände ausgeben. Immerhin sind es keine Attrappen. Ich wische auch Staub auf der Papaya und der Mango, die ich wie immer vor der Rückkehr der Besitzer eingekauft habe, und lege sie in die Obstschale aus Bambusholz; sie glänzen wie Reliquien. Möglicherweise hat mich die Signora (sie heißt Ina in Wirklichkeit, Ina Schiller-Dempf) für den heiklen Job des Housesittings ausgewählt, weil ich nie nachgefragt habe, warum diese beiden Früchte als Willkommensgruß in der Obstschale liegen müssen, wenn die übernächtigten, von weltumspannenden Flügen zurückkehrenden Hausherren das mehrfach gesicherte Haustürschloss mit dezentem Klicken entriegeln und die Räume wieder in Besitz nehmen. Auf der massiven Theke, die den Raum dominiert wie ein Altar, steht die Schale in theatralisch durch das Oberfenster einbrechendem Licht. Ich glaube, dass die Mango und die Papaya etwas mit der Liebesgeschichte der beiden zu tun haben, und brenne nicht gerade vor Wissensdurst. Das hat mir die Signora als Diskretion ausgelegt. Ich räume die restlichen Besorgungen in den Kühlschrank, hefte an dessen Tür die Quittung mit dem Magneten, auf dem Frida Kahlo zu sehen ist. Mit Franz’ Augenbrauen. Wie nennt man das, wenn sich die Augenbrauen ausbreiten wie zwei Vogelschwingen? An der Wurzel zusammengewachsen? Das sind Franz und ich wohl nicht, wer ist das schon, ach, was wird aus uns, ihm und mir?
    Ich hinterlasse eine kurze Nachricht für die Signora, in der ich nochmals meine Bereitwilligkeit, bei der großen Einladung am Wochenende zu bedienen, beteuere.
    Wie jedes Mal bedrückt mich trotz innerer Abwehr auch bei diesem Besuch die Wucht der dekorativen Anstrengung, deren Spuren überall gegenwärtig sind. Und sinne darüber, ohne Zweifel pathetisch, dass sich die Energie hinter dieser Anstrengung demselben zum Triumph über die Angst entschlossenen Widerstand verdankt, von dem erfasst der Apostel Paulus
Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?
, ausrief. Hier wurde allerdings jede Spiritualität durch Design ersetzt. Über diese raumästhetisch mit drei Architekten verhandelte Schwelle wird der Tod nicht zu treten wagen. Dammbau. Und wenn ich schon einmal niedergeschlagen bin, fallen mir sofort auch Geldsorgen ein, die es nach dem Projekt meines Mäzens wieder geben könnte. Einen Teil des Unterhalts finanziere ich aus der Dividende des elterlichen – bescheidenen – Vermögens, das wiederum hauptsächlich aus dem Erlös des vor einigen Jahren verkauften Hauses besteht. Die Lahnniederungen sind nicht gerade der Immobilienschlager. Im Übrigen wollte ich das Haus, in dem alles wie in einer Konservendose mit mehrere Lebensspannen überschreitender Haltbarkeit bewahrt schien, einfach loswerden und habe das erstbeste

Weitere Kostenlose Bücher