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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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sehr dünnen Beine nach Fehlern im schwarzen Netzmuster.
    Keine?
    Sie scheint enttäuscht. Ich schüttle den Kopf, und sie entlässt mich.
    Aus dem Wohnzimmer schallt der Satz: München ist der Forschungsstandort Nummer eins. Der nächste: Zweitklassig käme mir auch nicht in die Tüte.
    Die Orchideen nicken. Der Schriftsteller, der auf außerordentlich charmante Weise seit seiner Ankunft eine ganze Menschentraube damit beschäftigt, ihn zu bewundern, mischt sich wütend ein (und wächst mir ein wenig ans Herz, ich verzeihe ihm Würzburg):
    Es kommt darauf an, von wo aus man zählt, ruft er, von oben oder von unten.
    Er nestelt an seinem offenen Hemdkragen, als müsse er sich Luft verschaffen, und ich biete ihm vom neu beladenen Tablett ein Glas an.
    Er schaut verwirrt, dann erfreut und sagt: Sie sind bestimmt meiner Ansicht? Ich kenne doch meine Würzburger!
    Ja, die Würzburger können oben und unten gut auseinanderhalten, sage ich, nur Main und Rhein verwechseln sie gerne.
    Das Buffet wird eröffnet, die Stimmen gedämpft nun wie unter Mull, zum Schneiden, Kauen, Schlucken gibt es Mozart, Kammermusik, die Hausherrin und ihr Mann mischen sich unter die Gäste; ein bestaunenswertes Paar, das über das Gehirn forscht und die Erschütterungen, die uns doch alle ergreifen, als neurobiologische Prozesse beschreibt. Dafür werden sie belohnt und leisten sich Kunst und eine feste Burg ohne Gott.
    Der ja jedes Schäflein in diesem Raum lieben müsste, als Hirte – dass es an nichts mangelt, ist offensichtlich. Ich verschaffe mir mit derlei innerlichem und ziemlich müßigem Geplänkel Erleichterung, eine geschnorrte Zigarette, in der Küche halb geraucht, hilft zusätzlich beim Abbau von Verdruss. Ich probiere alle Desserts, noch bevor ich das Buffet damit bestücke. Es ist ganz leicht, Spuren zu verwischen: Dekoration – die Erdbeere, das Schokoladenblatt – aufheben, Finger rein, Dekoration zurücklegen. Das ist aber auch schon alles an Sabotage, was ich mir erlaube. Es ist nämlich überhaupt nicht leicht, so nette Menschen wie die hier versammelten abzulehnen, gar zu verachten oder zu hassen. Die Münchner zeichnen sich durch eine Last-Minute-Nettigkeit aus – da kostet sie deutlich weniger –, die sie davor bewahrt, ihren teuer angeschafften Dünkel ganz auszuspielen. In diesem letzten Moment werden sie zugänglich, demokratisch und unfein. Unter sich bleiben sie es dann auch. Und gönnen allen etwas: die üble Nachrede, die derben Komplimente, die echte Bewunderung, die italienische Umarmung anstelle des steifen deutschen Händeschüttelns und den Tip fürs gesündeste Solarium. Und die Nachsicht gegenüber den Ausnahmen und Nieten. Ich werde also, alles in allem, nett behandelt.
    Erst drei Stunden später, nach anstrengenden Aufräumarbeiten gemeinsam mit den
d’Annunzios
, die nun heftig streiten – ich zähle offensichtlich nicht als anwesend –, sowie einem handfesten Kater vom Alkohol und von der Verrenkung als schürzchentragende Bedienpuppe, höre ich Lottes Nachricht auf meinem Handy. Die Stimme ist brüchig, morgen, sagt sie, morgen werde ich entlassen. Können Sie mich abholen?
    Die Signora hat mir ein Taxi gerufen. Eigentlich eine unsinnige Ausgabe, doch in der Welt der
d’Annunzios
gibt es keine Menschen, die sich ein Taxi nicht leisten können, solch eine Welt wäre untergangsnah. Aber ich protestiere nicht und werfe mich auf den Rücksitz, jeder einzelne Knochen klemmt, die Fußsohlen brennen. Es riecht furchtbar in diesem Wagen, alle Gerüche der letzten Jahre stocken in den Kunstledersitzen und Fußabtretern, die Luft ist dick wie Speckschwarte. Die Vorstellung, mich allein unter meinen Decken zu verkriechen, ist so unerträglich, dass ich dem Taxifahrer Heinrichs Adresse nenne und zu müde bin, darüber zu erschrecken.

Siebzehn
    Kaum dass mich Lotte erblickt, ruft sie: Sie müssen mich auf der Stelle zum Friseur begleiten!
    Sie fährt sich mit beiden Händen ins Haar, das nach allen Seiten absteht wie nach einer Explosion. Offensichtlich wurden ihr die Haare gewaschen und nicht eingelegt, die wildgewordene Dauerwelle macht sie unglücklich. Nur wer anständig frisiert ist, ist als Mensch unverdächtig. Sie erträgt nicht, nun selbst Verdacht geschöpft zu haben. Auch zum Mittagessen will sie nicht, keinen Hunger, sofort zum Friseur.
    Ich trage ihren Koffer, mit einer Hand am Rollator, über der Schulter ihre Handtasche, deren Leder so mürb ist, dass es sich anfühlt wie Vicos Geldscheine.

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