Unter der Hand (German Edition)
den Anschein hat.
Blue Nun
, so heißt doch das gepanschte Zeugs, das sie in Amerika als Wein vom Rhein verkaufen?
Meine Nonnen waren schwarz!, hätte ich am liebsten bemerkt, und dass wir im Gespräch miteinander auffallend viele Diphthonge produzieren, fast in jedem Wort ausgerechnet ein
ei
, aber ich lasse es, Heinrich wird hier nicht erwähnt, und
nein
wird hier auch nicht gesagt. Ich bin im Dienst.
Als alle Gäste eingetroffen und die Schirme in zwei alten Milchkannen aufbewahrt sind (von wo aus sie knallig leuchten wie etwas Radioaktives), zieht mich die Signora zu sich in die Küche: Lächeln nicht vergessen!, sagt sie und reicht mir das kleine runde Tablett mit Gläsern. Sie trägt Netzstrümpfe und sehr hohe Absätze, einen Lederminirock, schwarzes Oberteil. Die Wimpern sind so schwer getuscht, als hätte es schwarz auf sie geschneit. Dadurch ist ihr Blick verhangen.
Ich starte: Aperol Sprizz, das Getränk der Saison, selbst ich in meiner weltabgeschiedenen Nische habe das mitbekommen. Ich balanciere das Tablett auf den gespreizten Fingern der rechten Hand, mit der linken reiche ich die Gläser. Giftig sieht die Flüssigkeit aus, wie Rostschuppen, die sich in Wasser aufgelöst haben. Die Salonlöwin erzählt laut und wunderbar unbekümmert um die demokratische Verteilung von Redeanteilen Anekdoten aus den Leben all der
very important people
, die bei ihr ein und aus gehen.
Minna, ruft sie mir zu, als ich im Kreis ihrer gebannten Zuhörer den Sprizz anbiete, Minna,
how are you?
Fast niemand, den ich kenne, amüsiert sich so über die eigenen Geschichten wie sie. Ihr ganzes Gesicht wird weich und beweglich vor Vorfreude auf die Pointe, deren Erreichen sie kunstvoll herauszögert.
Verliebt bin ich, bis über beide Ohren und bis in die letzte Seelenverästelung! Heinrich heißt er, und manchmal werde ich nicht schlau aus ihm. Er redet wenig, und wenn, dann in ausgetüftelten Sätzen, Merksätzen, die ich auf meiner inneren Schiefertafel vermerke. Die ist natürlich schwarz. Andere Male, wie zum Beispiel bei einem Besuch des Gestüts Ammerland, spricht er leichthin und unbeschwert. Wir haben uns 1x geküsst und umarmt und 1x im Traum miteinander geschlafen. An meiner relativen Nutzlosigkeit für die Gesellschaft ändert das nichts, liebe Deborah, du musst nämlich wissen, dass ich eigentlich ein Höhlenbewohner bin und nur durch einen dummen Zufall ans Licht gezerrt wurde. Und immer mal wieder eine Grubenfahrt antrete. Folglich einen Gutteil meiner Energie dazu brauche, in den gleißend ausgeleuchteten Operationssälen unserer Gesellschaft nicht zu versengen. Da bleibt keine Kraft übrig, mit der ich die Rendite steigern könnte. Ich bin nicht
busy
, sondern
lazy
.
Danke! Gut!, antworte ich, durch das oben zwar Gedachte, aber nicht Gesagte lächerlich verspätet, so beschwingt wie möglich, und ich schlucke einmal kräftig, um das Aufgestoßene in die angemessenen Tiefen zurückzubefördern.
Ich beschließe meine Runde in der Ecke, in der die Liberalen einander hochleben lassen, bei den eleganten Steuersündern also, sie greifen nach dem Sprizz wie nach einer Blutspende. Ihre Krawatten verbreiten Hochglanz, die gewaltigen Knoten schnüren den Blutfluss ab, im Kopf staut es sich, das sieht man der Gesichtsfarbe an. Eigentlich gehöre ich ja zu ihnen, wir teilen die Sünde, aber nicht die Eleganz. Alle sind glatt rasiert, Botschaft: Ich habe nichts zu verbergen. Das Gestrüpp ist andernorts zu Hause. Gestrüpp wie dasjenige, in dem die 68er ihre unaufgeräumten Träume horteten und vermehrten. Einer aus der Gruppe zieht mir, als ich ihm den Rücken zuwende, den Schürzenknoten halb auf. Ich kann es nicht glauben; ein Witz, der so uralt ist, wie mein Studium vorbei – abgebrochen nach der Zwischenprüfung.
Mit dem leeren Tablett, das ich mit gestrecktem Arm über meinem Kopf balanciere, bahne ich mir den Weg zurück in die Küche, statt Donizetti läuft nun Unterkühltes von Keith Jarrett, der Hausherr hat anscheinend den ganzen Abend musikalisch vorprogrammiert und lässt ein Endlosband laufen. Nein, es ist ja kein Band mehr, es ist eine Ladung, vielmehr Hochladung, die sich nun portionsweise über unseren Köpfen entlädt und in Klänge und Stimmen zerstäubt.
Die Signora lehnt in der Küche am Spülbecken und raucht; ein verschwörerisches Lächeln in meine Richtung und die Bitte, nachzuschauen, ob sie Laufmaschen hat. Sie dreht sich, wendet mir den Rücken zu, und ich begutachte gehorsam ihre langen,
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