Unter der Hand (German Edition)
umwandte, meinen schweren Kopf abgelegt und mich ausgiebig ausgeheult. Über den Schreck, mich verliebt zu haben. Unversehens und verzweifelt davon überzeugt, dass Heinrich den Satz mit der Schlichtung ernst gemeint hatte, er lag hier mit mir als barmherziger Samariter, aus Nächstenliebe. Heinrich schwieg, er hat lediglich meine Schulter leicht geklopft wie zur Begleitung eines Musikstücks und sich wieder auf die Seite gedreht, als ich mich beruhigte.
Dann übernahm der Satz
Mit dir kann man gar nicht fremdgehen
, recht verstanden, wieder die Vorherrschaft, blieb an im Raum, in der dunkelleichten Luft, die wir teilten, ein- und ausatmeten, lungenbeflügelt; er blieb an, so wie ein Nachtlicht für ängstliche Schläfer, für Kinder, anbleibt. Ich schickte ein Stoßgebet ins Ungefähre, der Empfänger, wie bei der Flaschenpost, unbekannt, jedoch als gewogen vorausgesetzt: Lass mich das Wesentliche und das Unwesentliche nicht verwechseln.
Lottes und mein Blick treffen sich im Spiegel, ich wende mich sofort ab. Es macht mich wütend, dass sie mich so forschend betrachtet. Ich schulde ihr nichts, nur Glück – aber nicht meines. Und vielleicht Ohrringe.
Die Friseuse ignoriert mich, nachdem sie beim Eintreten ihrer Missbilligung angesichts der Reitstiefel mit entsprechender Miene unmissverständlich Ausdruck verliehen hatte.
Lottes Haare sind nun auf großen Lockenwicklern eingerollt; sie sitzt unter der Trockenhaube wie ein kleiner Vogel, der gepäppelt werden muss. Zum ersten Mal seit dem Abholen wende ich mich ihr innerlich zu und sehe, wie schwach und zaghaft sie ist. Die Gesichtslähmung ist noch zu sehen, der Mundwinkel hängt leicht hinunter und erzeugt den Eindruck von Missmut. Dabei ist sie nur erschrocken. Ich rücke meinen Stuhl neben sie, weil es mir unvermittelt so vorkommt, als lauere ich wie der Tod hinter ihr. Ich greife nach ihrem Handgelenk und lasse meine Hand liegen; unter der plissierten Haut spüre ich die Knochen eigentümlich lose – als wären sie gar nicht mehr verbunden, sondern aufgesammelt. Lotte klagt über das schlechte Essen in der Reha, dann beginnt sie von Backobstsuppe, Krautwickeln und Königsberger Klopsen zu schwärmen. Für die Krautwickel mussten die Krautblätter abgelöst und nach und nach angeschmort werden. Sie habe, erzählt Lotte, als Kind immer Faxen gemacht und in das Krautblatt Augen- und Mundschlitze gebohrt, es wie eine Maske vor ihr Gesicht gehalten und die Schwestern und das Hausmädchen damit erschreckt. Ich sehe die geräumige, schwarzweiß geflieste Küche vor mir, an den Seiten die Schränke mit Geschirr und Töpfen, zuverlässig aufgestellt, die Fenster stehen weit offen, harziger Kieferngeruch mischt sich unter den von ausgelassenem Schmalz. Der Ostpreußenfilm läuft in meinem Kopf ab, als hätte Lotte die Klappe betätigt.
Ich war mal eine Wilde!, sagt Lotte und versucht unter der Haube hervor direkt zu mir zu schauen.
Das glaube ich sofort, antworte ich inbrünstig und bin selbst überrascht. Meine Hand liegt nach wie vor auf ihrer, und es ist, als wäre im schwachen Puls noch zu ertasten, was ihn damals schneller hat schlagen lassen. Alles ist gespeichert. In atemberaubender Geschwindigkeit sind wir von den Krautwickeln beim Krieg; bei der Kaffee-Ersatzplörre, beim Essen in der dänischen Internierung. Wissen Sie, was das heißt,
tyske pige jeg elsker dig
?, fragt Lotte, und ich sage: Ja, Lotte, das heißt deutsches Mädchen, ich liebe dich.
Woher wissen Sie das?
Ich habe es mir gedacht, Sie waren sicher eine sehr hübsche junge Frau.
Ich habe keine Sekunde vorgehabt ihr zu sagen, dass sie das schon einmal erzählt hatte.
Mit den adrett gelegten Wellen in noblem Hellgrau sieht Lotte nicht mehr aus wie eine Patientin. Sie spiegelt sich zufrieden. Ich helfe beim Aufstehen, beim Bezahlen, und Lottes Blick ruht freundlich auf mir. Das Weiße um die Iris herum ist wässrig und gelblich geworden, es sieht geronnen aus.
Es ist unumgänglich, darin die Nähe des Tods zu sehen.
Kommen Sie, sage ich zu Lotte, und zu ihm: Geh.
Als uns das Taxi vor ihrer Haustür auslädt, bleibt sie stehen, am Rollator festgeklammert, und betrachtet das Haus halb ungläubig, halb entsetzt. Vielleicht, weil sie feststellt, dass sich für sie alles verändert hat und für das Haus nichts. Es steht da wie immer, wie vorher. Ungerührt.
Im Windfang beginnt sie zu weinen; am Garderobehaken starren Stock, Hut und Mantel in einer Dreieinsamkeit, die auch mich bestürzt. Ich
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