Unter der Haut (German Edition)
Gestaltung dienen. Entsprechend erweisen sich
Unter der Haut
und
Schritte im Schatten
als wertvoller Schlüssel zur Lektüre des erzählerischen Werks – vieles, was die Autorin dort aus ihrem persönlichen Erleben, aus direkter Anschauung erzählt, tritt hier immer wieder neu geformt in Erscheinung. So greift Doris Lessing zum Beispiel häufig auf Motive aus ihren Kindheits- und Jugendjahren in Afrika zurück, immer wieder findet ihre lange währende Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und der Kommunistischen Partei Eingang in die fiktionale Gestaltung, und nicht zuletzt scheint in vielen ihrer Frauenfiguren jene mütterliche und zugleich politisch und beruflich engagierte Schriftstellerin auf, als die Doris Lessing ein offenes Haus im »Swinging London« führte. Andere wiederkehrende Motive sind uralte Mythen und Märchen oder spirituelle Lehren, die Doris Lessing im Laufe ihres Lebens immer beschäftigt haben und das Denken und Erzählen der Menschen ihrer Überzeugung nach noch heute bestimmen. All das durchzieht seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Erscheinungsformen ihr Werk.
Besonders offensichtlich ist die autobiografische Prägung im Romanzyklus »Kinder der Gewalt«, an dem die Autorin über siebzehn Jahre hinweg gearbeitet hat. Der aus fünf Bänden bestehende Zyklus erzählt die Lebensgeschichte der Martha Quest, die wie Doris Lessing selbst Kindheit und Jugend in Afrika verbringt, um schließlich die britische Kolonie zu verlassen und nach London zu gehen, wo sie die fünfziger und sechziger Jahre erlebt. In
Unter der Haut
finden sich zahlreiche Hinweise darauf, welche autobiografischen Elemente in welcher Weise Eingang in den Romanzyklus gefunden haben, denn zumindest die ersten drei Bände von »Kinder der Gewalt« folgen dem Lebensweg der Autorin relativ eng – um dort über ihresgleichen, über Menschen ihrer Generation zu schreiben, zieht Doris Lessing bis ins Detail die eigene Erfahrung heran. Mit der Arbeit am vierten und fünften Band, die in großem zeitlichem Abstand folgten, wird diese Verbindung allerdings lockerer, und fünfundzwanzig Jahre nach Abschluss der Pentalogie resümiert Doris Lessing mit Bezug auf den vierten Band: »… dieser Roman ist von der Atmosphäre und dem Lebensgefühl her sehr wahrheitsgetreu, von den Tatsachen her aber nicht unbedingt … Also könnte ich sagen: Der Roman ist autobiografisch, und er ist nicht autobiografisch, und beides wäre gleichermaßen wahr.« Wie schon im Hinblick auf
Ein süßer Traum
und
Auf der Suche
trifft Doris Lessing hier also die Unterscheidung zwischen atmosphärisch und faktisch Autobiografischem, ohne das eine höher als das andere zu bewerten.
Doris Lessing ist in den vielen Jahrzehnten ihres literarischen Schaffens offenbar immer eine Autorin gewesen, die in mannigfaltiger Hinsicht aus persönlichem Erleben schöpfte, aus der eigenen Biografie. Doch wie geht sie vor, wenn sie sich zur Aufgabe macht, ihre Autobiografie zu schreiben? Wenn ihr nicht daran gelegen ist, Material aus der eigenen Lebenserfahrung in einen mehr oder weniger fiktionalen Rahmen umzusetzen, sondern daran, im Rückblick die Geschichte des eigenen Lebens zu erzählen? Einige grundlegende Gedanken zu dieser Frage hat Doris Lessing 1998 nach Abschluss der Arbeit an ihrer zweibändigen Autobiografie in ihrem Essay
Writing Autobiografy
formuliert, und sie hält fest: »In einer Hinsicht muss sich die Autobiografie vom Roman unterscheiden. Ein Roman muss nicht die Wahrheit enthalten. Doch eine Autobiografie muss das durchaus. Zumindest muss man den Versuch unternehmen.«
Aus diesem Grundsatz ergeben sich für Doris Lessing weitere Fragen, die sie nicht nur in ihrem Essay, sondern auch in
Unter der Haut
selbst immer wieder zu beantworten versucht: Was kann als zuverlässig gelten an etwas so Flüchtigem wie Gedächtnis und Erinnerung? Wie kann man dafür Sorge tragen, dass das Geschriebene die Wahrheit enthält? Auch in Hinsicht auf diese Fragen kommt die Autorin zu einem so klaren wie bescheidenen Schluss: »Unser Blick auf das eigene Leben verändert sich unentwegt, er fällt in verschiedenen Lebensaltern verschieden aus. … Früher glaubte ich, Autobiografien enthalten, was die Autoren über ihr Leben denken. Inzwischen glaube ich: ›Das haben sie
zu diesem Zeitpunkt
gedacht.‹ Ein Zwischenbericht – genau das ist eine Autobiografie.« Dem entspricht, was Doris Lessing als eigenen Anspruch im zweiten Kapitel von
Unter der Haut
formuliert:
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