Unter der Haut (German Edition)
»Ich will versuchen, dies zu einem ehrlichen Buch zu machen. Doch wie sähe es wohl aus, wenn ich es mit fünfundachtzig noch einmal schreiben sollte?«
Nicht zuletzt um dem Geschriebenen den Charakter eines Zwischenberichts zu verleihen, wendet Doris Lessing zwei bestimmte Gestaltungsprinzipien an, wenn sie in ihrer Autobiografie dem eigenen Lebensweg folgend noch einmal nachvollzieht, was im erzählerischen Werk zur Fiktion gestaltet oder atmosphärisch gegenwärtig gewesen ist: Sie wechselt immer wieder die Perspektive, und immer wieder hinterfragt sie das eigene Tun. Und so begeistert bei der Lektüre von
Unter der Haut
und
Schritte im Schatten
nicht nur die atemberaubende Beobachtungsgabe, über die Doris Lessing offenbar schon in ihrer Kindheit verfügte (und die, wie sie selbst vermutet, wohl für ihre Berufung zur Schriftstellerin maßgeblich war) – nicht minder faszinierend ist es, wie sie mit großer emotionaler Beteiligung und überwältigender Unmittelbarkeit aus der Welt des Kindes und der Heranwachsenden, von persönlichen Gedanken und Empfindungen erzählt, um gleich darauf die eigene Person distanziert von außen zu betrachten und das individuelle Erleben schließlich auf eine Ebene zu heben, die ihm allgemeine Gültigkeit verleiht. Zugleich beschäftigt es Doris Lessing während des autobiografischen Erzählens immer wieder, ob die gewählte Herangehensweise dem Gegenstand entspricht, ob sie ihrem eigenen Anspruch genügt. Indem die Autorin sich selbst und ihre Betrachtungsweise immer wieder infrage stellt, betont sie nicht nur den vorläufigen, temporären Charakter ihrer Darstellung – sie öffnet ihre Autobiografie auch für die Leserinnen und Leser, die weit mehr sind als äußere Beobachter eines bemerkenswerten Lebens: Sie nehmen Anteil an ihm.
Inzwischen hat Doris Lessing auch die fünfundachtzig überschritten, ohne ihre Autobiografie fortgesetzt oder gar neu geschrieben zu haben. Offenbar hat sie beschlossen, uns an ihrem aufregenden Leben nach 1962 vor allem durch den Filter der Romane und Erzählungen teilhaben zu lassen. Aber sie hat uns mit den beiden Bänden ihrer Autobiografie einen Schlüssel zur Lektüre auch dieser späteren Werke gegeben.
Unter der Haut
und
Schritte im Schatten
lehren uns, die Welt mit den Augen einer Doris Lessing zu sehen, die sich auch im Rückblick auf ihr Leben nicht mit Selbstbetrachtung begnügt. Jederzeit bezieht sie Leserinnen und Leser in das Geschehen mit ein, tritt mit ihnen in einen Dialog, indem sie das Erlebte nicht nur beschreibt, sondern auch kommentiert und dadurch nicht zuletzt in einen größeren Zusammenhang stellt. – Mithin lesen wir tatsächlich so etwas wie die »Biografie einer Zeit«.
Barbara Christ
Über Doris Lessing
Doris Lessing wurde 1919 in Persien geboren und wuchs auf einer Farm im damaligen Südrhodesien auf. Mit dreißig Jahren kam sie nach London und veröffentlichte dort 1950 ihren ersten Roman. Ihr umfangreiches literarisches Werk macht sie zu einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autorinnen. Im Hoffmann und Campe Verlag erschienen seit 1988 zahlreiche Werke, zuletzt ihre Romane
Die Kluft (
2007 ) und
Alfred und Emily
( 2008 ) sowie im Rahmen der Werkauswahl fünfzehn Titel, darunter
Das goldene Notizbuch, Unter der Haut, Das fünfte Kind
und zwei Erzählungsbände. Doris Lessing wurde 2007 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Impressum
Die Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel
Under my Skin
bei HarperCollins, London
Copyright © 1994 by Doris Lessing
Für die deutschsprachige Ausgabe
Copyright © 1994 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
ISBN 978-3-455-85084-0
Unsere Homepage finden Sie im Internet unter: www.hoca.de
www.facebook.com/Hoffmann.und.Campe.Verlag
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