Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
eingeklemmt hat.“ Leng machte eine Pause. „Ich bin erstaunt, dass du mit dem Fahrrad zur Arbeit gekommen bist. Ist doch sonst nicht deine Art.“
„Hätte ich auch besser nicht getan.“ Prado legte den Helm auf dem Schreibtisch seines Kollegen ab. „Ich bin von Nippes in Richtung Ebertplatz gefahren und wollte von dort weiter zum Rhein, um endlich in die Pedale treten zu können, ohne ständig vor irgendeiner roten Ampel stehen zu müssen, als in der Nähe der Agneskirche zuerst ein Rauhaardackel, dann eine Leine und schließlich eine alte Dame meinen Weg kreuzten. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre in sie hinein gefahren.“
„Und wohin ist sie von ihrem Hündchen gezogen worden?“ fragte der Hauptkommissar.
„Auf den saftig grünen Rasen am Fahrbahnrand. Na ja, im Moment ist er nicht ganz so grün, sondern tief gefroren.“
„Ich liebe dampfende Scheißhaufen“, entfuhr es Leng, „vor allem die bei 30 ° C von der Sonne beschienenen.“
„Hast du als Mann des Gesetzes Omi denn auf ihr Fehlverhalten aufmerksam gemacht?“ Die Frage kam von Maria, die bisher keinen Ton gesagt hatte.
„Blöde Frage. Ich bin froh, dass ich ihr nicht die Hüfte lädiert habe.“
Maria überging mit einem Lächeln die grobe Bemerkung. „Darüber kann sie selbst auch froh sein. Wir haben zwar noch keine britischen Verhältnisse, aber die Wartezeiten für ganz bestimmte Operationen werden auch bei uns immer länger.“
„Wenn es nach der Fasson einiger politischer Heißsporne ginge, gäbe es ab siebzig überhaupt keine Ersatzteile mehr.“ Leng bekam einen roten Kopf, weil ihn dieses Thema jedes Mal aufregte. „Dieses Land steuert nicht nur auf eine Zweiklassen-Medizin zu, sondern auch auf eine Spaltung der Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die Jungen, die aus ihrer Sicht überproportional zur Kasse gebeten werden und zu nahezu allen Konditionen bereit sein müssen zu arbeiten und auf der anderen die Älteren, die um ihre Jobs fürchten, weil sie jederzeit hinausgeschmissen werden können, um danach dann schlagartig auf ein Sozialhilfeniveau abzusinken sowie die Alten, für die sich eh keiner mehr interessiert. Dabei sitzen alle im selben Boot, und während sie hoffen, sich zukünftig nicht mit Zeitungspapier den Hintern abwischen zu müssen, thront über ihnen das Heer derer, das auf vergoldete Klodeckel nicht verzichten möchte. Am meisten kotzen mich all die selbstgefälligen Bürokraten an, die sich wie die Feudalherren der Neuzeit gerieren und Sozialhilfeempfänger wie Aussätzige behandeln.
Hartz IV ist ein Gesetz von Zynikern. Es ist wirklich eine Unverschämtheit, Menschen, die über viele Jahre in die Arbeitslosenversicherung e ingezahlt haben, mit einem Almosen abzuspeisen.“ Leng bemerkte erst an den verdutzten Gesichtern der beiden anderen, dass er laut geworden war und seine Stimme bebte. „Schaut mich nicht so an. Geht doch mal den Eigelstein entlang, dann wüsstet ihr, was ich meine. Bis vor drei Jahren hast du kaum einen Bettler gesehen, und jetzt sind die Straßen voll mit ihnen.“
„Wahrscheinlich würde ich dort auch stehen“, sagte Maria, „wenn ich nicht diesen Job…“
Prado unterbrach sie lachend. „Ich finde das eigentlich schade. So kommt das gemeine Volk nicht in den Genuss, sich Auszüge aus Rigoletto oder der Zauberflöte anzuhören.
Maria vermochte noch immer nicht einzuschätzen, ob der Kommissar etwas ernst meinte oder ob er wieder einmal einen Witz auf Kosten anderer machte. Auf keinen Fall wollte sie ihm das gemeine Volk durchgehen lassen. „Wer mit goldenen Löffeln im Sandkasten buddeln durfte…“ presste sie aus fast geschlossenen Lippen hervor. Diese oder eine ähnlich lautende Ouvertüre reichte gemeinhin aus, um ihn auf die Palme zu bringen. Dabei tat sie ihm zum Teil Unrecht.
Prados Vater hatte, als die Kinder noch klein waren, ein Malergeschäft in der Weidengasse besessen, das die Familie mehr schlecht als recht ernährte, und es waren die viel verschmähten Nutten vom angrenzenden Gereonswall, die dem kleinen Jürgen so manche Süßigkeit zusteckten, auf die er sonst hätte verzichte n müssen. Vor allem die schwarzhaarige Manola aus Toledo hatte den Jungen in ihr Herz geschlossen, weil er sie an ihren Bruder erinnerte, der im Spanischen Bürgerkrieg ums Leben gekommen war. Sie nannte Prado liebevoll Jorge, ohne zu wissen, dass es tatsächlich spanische Vorfahren gegeben hatte.
Erst Jahre später, als er und seine ältere Schwester bereits
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