Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
diskriminierende Art klar gemacht, dass Leute jenseits der vierzig nicht erwünscht seien. Ihrem berechtigten Einwand, sie würde eine größere Planungssicherheit für ein Institut bedeuten als ein viel jüngerer Bewerber, der sich schon bald nach einem lukrativeren Job umschaute, begegneten die meisten Achsel zuckend oder offen aggressiv. Erst durch die Verkettung unglücklicher Umstände sollte sie dann doch schließlich Erfolg im Berufsleben haben.
Lengs Sekretärin war nach einer schweren MS-Erkrankung nicht mehr in der Lage gewesen, weiter zu arbeiten und wurde in die Frührente geschickt. Zum selben Zeitpunkt hatte die Mitarbeiterin seines Freund es, Kommissar Prado, einen schweren Autounfall, an dessen Folgen sie schließlich verstarb, nachdem sie fast sechs Monate im Koma gelegen hatte. Maria war nicht nur bereit gewesen, sich trotz ihrer Qualifikation mit einem eher bescheidenen Gehalt abzufinden, sondern auch anfallende Arbeiten des anderen Kommissariats mit zu bearbeiten. Und trotzdem musste sich Leng heftig ins Zeug legen, um seine Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass Maria die erste Wahl bedeutete und das nicht etwa, weil er sie aus seiner Stammkneipe kannte und ihr einen Gefallen erweisen wollte, sondern weil sie von allen Bewerberinnen die größte Kompetenz besaß, über die besten Computerkenntnisse verfügte und das größte Engagement an den Tag legte.
„Na, Chef, schlecht geschlafen?“
Maria konnte sich einiges erlauben, was er sonst keinem zugestand, in diesem Fall, gleich zwei Provokationen in einer Frage unterzubringen. Er mochte es nicht, als Vorgesetzter angesprochen zu werden und hasste es geradezu, wenn sich jemand nach seinem Befinden erkundigte.
Statt einer Antwort konterte er mit einer Gegenfrage: „Würde es dir gefallen, wenn du dich auf dem Weg zu den sonnigen Kanaren befändest und dein Flugzeug plötzlich zum Nordpol umgeleitet würde?“
Sie schaute ihn amüsiert an.
„Dope?“ fragte sie vorsichtig, um dann belustigt hinzu zu fügen: „Wahrscheinlich noch nicht ganz abgebaut.“
„Quatsch“, entgegnete Leng barsch. „Du weißt doch genau, dass die einzige Dröhnung, die ich mir gönne, aus dem Zapfhahn kommt, aber nur, wenn daran ein Fass mit Kölsch hängt.“
„Also, was ist es dann?“
„Süße Träume hegt ich neulich,
warm das Wasser, heiß die Luft,
schrill der Ton an meinem Ohre,
paff, der ganze Traum verpufft.“
„Oh, ich wusste nicht, dass du jetzt auf den Spuren von Christian Morgenstern wandelst.“ Marias Lächeln hatte fast boshafte Züge angenommen.
„Tu ich das?“
„Nicht wirklich. Aber immerhin. So aus dem Stehgreif. Gar nicht schlecht. Oder hast du etwa die halbe Nacht daran gefeilt?“
„Du bist ein Monster.“ Leng konnte sich ein Grinsen nicht länger verkneifen. „Also, wie würdest denn du reagieren, wenn du innerhalb von nur wenigen Minuten deinen sonnigen Traumstrand verlassen müsstest, um in die arktische Kälte des Mediaparks verbannt zu werden?“
„Mord?“ wollte Maria wissen, wobei ihre Stimme nicht einmal erstaunt klang.
In ihrem ersten Jahr bei der Polizei schwankte sie ständig zwischen Entsetzen und Ekel, wenn sie von einem Verbrechen erfuhr. Es war etwas völlig anderes, in der Zeitung darüber zu lesen. Es hatte nicht wirklich mit einem selber zu tun, und da man weder Täter noch Opfer kannte, blieb auch ein emotionaler Aufruhr aus. Hier im Präsidium erfuhr sie zum ersten Mal von den Schmerzen der Hinterbliebenen, von der Bereitschaft zu Töten und von der Unausweichlichkeit der Tat. Sie schaute in Abgründe, die sie nie mit ihrer Person in Verbindung gebracht hätte, bis sie erkannte, dass wir uns alle am Rande eines Abgrundes bewegen und es unsere Aufgabe ist, Trittsicherheit zu erlangen, wenn wir nicht verschlungen werden wollen.
4
In Lengs Büro herrschte ein mildes Chaos. Er schaltete den Computer ein und las, während dieser hochfuhr, eine Notiz, die zuoberst auf dem Aktenberg in der Mitte seines Schreibtisches lag.
„Einbrecher auf frischer Tat ertappt. Täter legten Geständnis ab. Rücksprache mit Prado.
Maria
Die Notiz bezog sich auf eine Serie von Einbrüchen, die in den vergangenen vier Monaten stattgefunden und viele Bewohner verunsichert hatten, wobei vor allem die nördliche Innenstadt und der angrenzende Stadtteil Nippes betroffen waren. Hinweise aus der Bevölkerung hatten den Schluss nahe gelegt, dass es sich bei den Tätern um minderjährige Jugendliche handelte, die sich mit
Weitere Kostenlose Bücher