Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
kleinen, vorsichtigen Schritten überqueren.
„Viell eicht sollten wir dem Laden jetzt gleich einen Besuch abstatten“, rief er verärgert und zeigte auf das Gebäude, an dessen Rückfront sie sich befanden. „Wir sollten ihnen diese kleine Ordnungswidrigkeit nicht durchgehen lassen..“
„Komm, reg dich nicht auf, Jürgen“, versuchte Leng ihn zu beschwichtigen. „Wenn wir bei unserer Rückkehr immer noch alles unverändert vorfinden, können wir immer noch etwas unternehmen. Wundert mich sowieso, dass du bei deiner Größe und vor allem bei deinen Quadratlatschen nicht mehr Standfestigkeit besitzt.“
„Dass Zwerge weniger Pr obleme haben, ist ja klar“, antwortete Prado, noch immer aufgebracht.
Der Hauptkommissar wollte auf diese Unverschämtheit nicht eingehen. Er wusste, dass er mit seinen 170 Zentimetern auf der Größentabelle für Männer tatsächlich nur einen Wert im unteren Mittelfeld erreichte und von dem schlecht gelaunten Mann, der an seiner Seite ging, um fast einen Kopf überragt wurde. Er wusste aber auch, wie wichtig es war, an eine Befragung unaufgeregt und vorurteilsfrei heranzugehen. Starke Emotionen, egal ob positiv oder negativ, wirkten selektiv und trübten die Wahrnehmung. Deshalb hielt er es für angebracht, gar nichts zu sagen.
Der Wind pfiff eisig durch den Bogen des mittelalterlichen Stadttors und ließ beide Männer auf einen baldigen Frühling hoffen. Vermutlich wurde dieser Wunsch ausgelöst von dem kleinen Platz, den sie gerade überquerten und der sie an die lauen Sommerabende des vergangenen Jahres erinnerte. Da hatten sie einige Male hier gesessen. Natürlich war der Platz jetzt leer, die Bäume blattlos und das Wetter so ungemütlich, dass sich der Reiz dieses Ortes dem Betrachter nicht sofort erschloss; aber ohne Übertreibung konnte dieses gepflasterte Quadrat im Schatten der alten Torburg als einer der schönsten Plätze Kölns bezeichnet werden. Es gab mitten in der Stadt nichts Vergleichbares. Im Sommer, wenn einige Cafés, ein Teeladen und mehrere Restaurants ihre Außengastronomie betrieben, der Platz voller Menschen und somit voller Leben war, fühlte man sich durchaus wie in einer südlichen Metropole. Kein Wunder also, dass sich so mancher fragte, ob der Stadtrat geschlafen hatte, als er seine Entscheidung zur Platzerneuerung traf; denn welche Erklärung sollte es sonst dafür geben, dass neben all den Scheußlichkeiten ein solches Juwel entstanden war?
Die Gemeinschaftspraxis, vor dessen Eingang die beiden Kommissare schließlich standen, teilten sich, wie sie dem Schild entnehmen konnten, drei Dermatologen und lag direkt neben der Bäckerei, in der Leng sein Schwarzbrot kaufte, von dem er stets behauptete, es gäbe im gesamten Viertel kein besseres. Rechterhand führte eine Passage in ein Wettbüro, das vor zwei Jahren das hier ansässige Stoffgeschäft, sehr zum Bedauern der Stammkundschaft, die Preise und Qualität zu schätzen wussten, verdrängt hatte, weil der Mietpreis einfach zu hoch lag.
Sie verzichteten darauf, mit dem Aufzug zu fahren und stiegen die wenigen Stufen hinauf in den ersten Stock. Die Tür zur Praxis stand offen, weil die Patienten bis in den Flur hinaus anstanden, um sich anzumelden oder ein Rezept ausstellen zu lassen.
„Das glaub ich jetzt nicht.“ Prado versuchte, sich mit seinen Armen einen Weg zu bahnen, wobei er den Eindruck eines Brustschwimmers erweckte, dem gerade seine erste Unterrichtsstunde erteilt wurde. Seine Aktion löste bei den Wartenden heftige Proteste aus, bis Leng ihn am Ärmel seiner schwarzen Wildlederjacke zurückzog.
„Was ist los?“ blaffte er. „Willst du hier etwa eine halbe Stunde oder mehr anstehen?“
„Psst“, zischte ihm der Hauptkommissar ins Ohr. „Ich halte es für besser, die Sprechstundenhilfen in dem Glauben zu lassen, wir seien ganz normale Patienten. Vielleicht lässt ja ihr Verhalten schon einige Rückschlüsse zu.“
„Mir scheinen alle sehr hektisch und nervös zu sein“, stellte Prado fest, der nun ebenfalls bemüht war, so leise wie möglich zu sprechen. „Wundert mich allerdings nicht im Geringsten. Schließlich ist ganz plötzlich einer der Ärzte ausgefallen und sie wissen nicht einmal warum.“
„Möglicherweise hat ja doch eine von ihnen eine Ahnung.“
„Du glaubst wirklich...?“
Da Leng auf die Frage keine Antwort wusste, hob er nur leicht die Schultern an. „Wir können nicht von vornherein jemanden ausschließen.“
Nach nur wenigen Minuten hatten sie
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