Unter Deutschen
Joseph P. Kennedy im Frühjahr 1938 seinen Posten in London an. Nach seinem dritten Studienjahr in Harvard nahm John F. Kennedy 1939 ein Freisemester, um als Sekretär seines Vaters zu arbeiten und seine politikwissenschaftliche Abschlussarbeit in Europa vorzubereiten.
JFK unternahm in dieser Zeit derart ausgedehnte Reisen (im Auto, mit dem Zug, per Flugzeug), dass ihre Routen und Daten kaum genau nachzuvollziehen sind. Dies wird noch dadurch erschwert, dass historisches Material zum Teil nicht erhalten, später verlorengegangen oder aber nicht zugänglich ist. (So schreibt der Historiker Nigel Hamilton: »Leider wurden die meisten Briefe später gestohlen, oder sie gingen verloren.«) Auf der Grundlage des verfügbaren Archivmaterials, anhand der überlieferten Aussagen von Zeitzeugen und nach Übereinstimmung der maßgeblichen Biographien lässt sich Kennedys Parcours des Jahres 1939 jedoch wie folgt rekonstruieren:
Im Februar in der britischen Hauptstadt eingetroffen, nahm erzunächst im März mit seiner Familie an der Krönung des neuen Papstes Pius XII. in Rom teil. In Paris absolvierte er im April ein Praktikum an der Botschaft der USA. Anschließend besuchte er die Freie Stadt Danzig, wo sich die Krise zwischen Deutschland und Polen zuspitzte. In Warschau nahm ihn US-Botschafter Anthony Biddle auf. Die Unterstützung der diplomatischen Vertretungen nutzte er auch auf einer Reise durch Osteuropa und den Nahen Osten, von wo er seinem Vater ausführlich über den Konflikt zwischen Juden und Arabern berichtete. Ihre Stationen waren u. a. Moskau, Bukarest, Istanbul und Jerusalem.
Im Juli unternahm Kennedy mit Torbert Macdonald, seinem Mitbewohner in Harvard, eine gemeinsame Fahrt durch Frankreich, Deutschland und Italien. In München trafen sie Byron White, der dort als Student den Sommer verbrachte und mit dem sie in einen Zwischenfall mit SA-Leuten gerieten. Am 12. August brachen Kennedy und Macdonald von Frankreich aus in einem gemieteten Auto zu einer weiteren Rundfahrt auf, die sie abermals nach München führte und anschließend nach Wien (14. August). Von dort reiste JFK allein nach Prag, das unter deutscher Besatzung stand, und dann nach Berlin (ca. 20. August), wo sich zur selben Zeit sein Bruder Joe aufhielt. Wenige Tage bevor die Deutschen am 1. September Polen überfielen, soll er in der Botschaft der USA eine entsprechende Warnung erhalten haben, die er seinem Vater nach London überbrachte.
Dort verfolgten die Kennedys am 3. September von der Besuchergalerie des Parlaments, wie Premierminister Chamberlain Deutschland den Krieg erklärte.
Die wichtigsten Quellen aus dieser Zeit sind John F. Kennedys Briefe an seinen Vater und an Lem Billings (der hier in der Anrede scherzhaft als »De Lemmer« bezeichnet wird); hinzu kommen Zeugnisse von Torbert Macdonald (als Oral History in der Kennedy Library, im Interview mit Joan und Clay Blair sowie in dem Band »... As We Remember Him«), Byron White (den Kennedy und Macdonald in Deutschland trafen), William Bullitt (dem Botschafter der USA in Paris) und Carmel Offie (seinem Sekretär), George Kennan (US-Diplomat in Prag), Charles Lindbergh und Anne Morrow Lindbergh (die mit den Kennedys bekannt waren und an einem Lunch in der Botschaft in Paris teilnahmen) und Marlene Dietrich (der Kennedy in Frankreich begegnete), außerdem die Berichte des älteren Bruders Joseph Kennedy jr., der im Sommer 1939 ebenfalls durch Europa und Deutschland reiste, sowie das Tagebuch der Mutter. (Rose Kennedy notierte am 12. August 1939: »Jack und Torb Macdonald brechen auf nach Deutschland. Sie möchten außerdem nach Prag, aber man sagt, das sei nicht möglich.«) Die Briefe an Lem Billings hat Nigel Hamilton, Autor von »JFK – Reckless Youth« (1992), am gründlichsten ausgewertet.
Reisebriefe 1939
Warschau, Mai 1939
Lieber De Lemmer,
habe Dein letztes Epos erhalten, wonach Du offenbar pausenlos betrunken bist und Herzen brichst – was sich alles so gegen fünf Uhr morgens abzuspielen scheint. Bin jetzt in Warschau, wo ich seit letzter Woche bei Botschafter Biddle wohne. Es ist verdammt interessant, ich war ein paar Tage oben in Danzig. Danzig ist vollständig nazifiziert – jede Menge Heil Hitler usw. Habe dort mit den Nazichefs und sämtlichen Konsuln gesprochen.
Die Situation ist sehr kompliziert, aber in etwa folgendermaßen: 1. Der Streit um Danzig ist vom Streit um den Korridor [nicht] zu trennen. Sie (die Deutschen) sind der Meinung, dass beides
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