Unter die Haut: Roman (German Edition)
Und er gebrauchte nie Kosenamen, nicht einmal solche, die man im Zustand größter Leidenschaft von sich gibt.
Aber die Leidenschaft. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es diese Art von Sex tatsächlich gab. Unersättlich, einfallsreich, hemmungslos hatte Vincent den Bestand an Kondomen in der Schale, die sie in seine Wohnung mitgenommen hatten, bereits erheblich dezimiert. Er liebte sie an Orten und in Stellungen, von denen sie keinerlei Ahnung gehabt hatte … und bis vor einer Woche hätte sie geschworen, dass sie von alldem zumindest schon gehört hatte. Für einen Mann, den sie anfangs in Verdacht gehabt hatte, verklemmt und puritanisch zu sein, war er mit einer unerschöpflichen Fantasie gesegnet.
Alles in allem wäre sie wahrscheinlich mehr als zufrieden gewesen, hätte nicht das Wissen, einen Vergewaltiger als Verehrer zu haben, ihr Leben überschattet.
Dass sich der Mann, der sich Hart nannte, in ihr Leben gedrängt hatte, brachte sie völlig aus dem Gleichgewicht. Unter normalen Umständen wäre es eine Zeit gewesen, die sie rundum genossen hätte. Sie hatte einen Beruf, den sie liebte, eine Familie, die sie liebte, und – wenn sie ehrlich war – einen Mann, den sie liebte.
Leider war an dieser Situation nichts normal. Höchstwahrscheinlich hätte Vincent sie niemals aufgefordert, zu ihm zu ziehen, wäre da nicht die Bedrohung durch diesen unbekannten Verrückten gewesen. Und falls er sie doch gebeten hätte, bei ihm einzuziehen, hätte es bestimmt nicht so viele Einschränkungen gegeben, mit denen sie sich abfinden mussten.
Vincent beharrte nach wie vor darauf, dass sie ihr Zusammenleben geheim hielten. Außerdem hatte er angeordnet, dass sie alle Anrufe entgegennahm, während er immer die Tür öffnete. Sie durfte nie allein zu ihrem Auto gehen. Morgens verließen Vincent und sie gemeinsam das Haus. Für gewöhnlich trafen gleichzeitig mit ihr immer ein paar andere Angestellte des Krankenhauses ein, mit denen sie hineingehen konnte, wenn das nicht der Fall war, hatte sie Vincents strikte Anweisung, in ihrem Wagen zu warten, bis jemand kam. Abends suchte sie sich einen Mann, der sie zu ihrem Auto brachte, und sie vergaß nie, Vincent auf dem Handy, das er ihr besorgt hatte, anzurufen, um ihm zu sagen, wann sie zu Hause sein würde; dort wartete er dann auf dem Parkplatz auf sie.
Beschränkungen und Geheimhaltung. Wie sollte man da eine Beziehung aufbauen?
Dennoch schienen sie genau das zu tun, trotz aller Hindernisse, die sich ihnen in den Weg stellten. Gleichzeitig gab es eine Ebene ihres Bewusstseins, die nicht zuließ, dass sie sich völlig entspannte. Ständig wartete sie mit angehaltenem Atem darauf, dass Hart den nächsten Schritt unternahm.
Was er bisher nicht getan hatte. Bisher war sie von weiteren Anrufen verschont geblieben. Das verhinderte allerdings nicht, dass sie jedes Mal zusammenzuckte, wenn das Telefon klingelte. Inzwischen fürchtete sie sich regelrecht davor.
Sein Schweigen brachte sie allerdings genauso wenig dazu, das Skalpell zurück in den Arztkoffer zu stecken, wohin es gehörte. Ständig in Alarmbereitschaft, trug sie es weiterhin mit sich herum und verschloss weiterhin hartnäckig ihre Ohren vor den Ermahnungen ihres Gewissens.
Vincent hatte ein Gerät besorgt, mit dem eingehende Anrufe zurückverfolgt werden konnten. Doch jetzt, da Ivy fast wünschte, der perverse Kerl würde anrufen, damit sie es endlich hinter sich hatte, rührte er sich nicht mehr. Das Warten darauf, dass er den nächsten Schritt unternahm, ließen ihre Anspannung und ihre Unsicherheit ins Unerträgliche wachsen. Ivy befürchtete, dass irgendetwas auf der Strecke bleiben würde.
Sie konnte nur beten, dass es nicht ihre Nerven sein würden.
14
Vincent stieß im Stillen einen Fluch aus, als er seine Wohnungstür öffnete und sah, wer davorstand. Du lieber Gott, verfügte ihre Familie über eine Art Radar, mit dem sie sie überall aufspüren konnte?
»Hi«, sagte Terry Pennington. »Haben Sie heute schon zufällig Ivy zu Gesicht bekommen?«
Er machte sich nicht die Mühe, sich vorzustellen, allerdings wusste Vincent ohnehin, wer er war. Erst vor ein paar Tagen hatte Ivy an ihn gelehnt neben ihm gesessen, ihr aufgeschlagenes Fotoalbum auf dem Schoß, und ihm stolz erklärt, wer die einzelnen Leute auf den verschiedenen Schnappschüssen waren.
Ein paar Sekunden lang war Vincent versucht, sarkastisch zu werden und zurückzufragen, ob er wie ein Callcenter aussah, oder einfach nein zu sagen
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