Unter die Haut: Roman (German Edition)
war oder so. Er wusste, wie er sich zu benehmen hatte.
Es war allerdings wirklich Pech, dass sie nicht ein kleines bisschen schüchterner war. Etwas weniger selbstbewusste Frauen waren ihm lieber.
Er biss einen winzigen Fetzen Haut neben seinem Fingernagel ab, zupfte ihn mit den Fingerspitzen von seiner Zungenspitze und dachte an die nächste Vollmondnacht. In ein paar Tagen war es so weit. Vielleicht …?
Einen kurzen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, seine Verkleidung anzulegen und sich gewaltsam Zutritt zu Jaz’ Wohnung zu verschaffen, um ihr seine wahre Macht zu zeigen. Das wäre sicher toll zu sehen, wie ihr Selbstbewusstsein mit einem Schlag schwand. Allein bei dem Gedanken daran verspürte er ein vertrautes Ziehen in seinen Lenden.
Aber … nein. Mit Bedauern kam er zu Schluss, dass es wahrscheinlich nicht gut wäre. Ivy würde vermutlich nicht allzu viel Sympathie für einen Mann empfinden, der ihrer Cousine wehtat, das konnte sogar er nachvollziehen. Tief in seinem Innern wusste er jedoch, dass sie verstand, was ihn trieb – er spürte es ganz einfach. Ihr Mitgefühl beruhigte ihn, ermöglichte es ihm, normal zu funktionieren, während er sich in den Fängen des Jägers befand. Allerdings gab es so etwas wie Loyalität gegenüber der Familie.
Es war die Verbundenheit zwischen den beiden Frauen, die er an dem Abend in der Bar gespürt hatte und die ihn veranlasst hatte, Jaz bis nach Hause zu folgen … nachdem er erst einmal die Enttäuschung überwunden hatte, dass man ihn der Gelegenheit beraubt hatte, Ivy zu folgen. Er hatte sie an dem Abend beobachtet. Während er in der Bar herumgewandert war, sorgsam darauf bedacht, sich unter die anderen Gäste zu mischen und nie so lange an einer Stelle zu bleiben, dass er irgendjemandes Aufmerksamkeit auf sich zog, hatte er auch den einen oder anderen Gesprächsfetzen aufgeschnappt, in dem es um die Penningtons ging.
Nachdem er erst einmal wusste, wo Jaz wohnte, war es ein Kinderspiel gewesen herauszufinden, wo sie arbeitete, und anschließend ein Treffen zu arrangieren. Er hatte die Sache so schnell wie möglich über die Bühne bringen wollen. Sie treffen, sich Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffen, die Adresse der Ärztin in Erfahrung bringen und verschwinden.
Nun ja, jetzt würde sein Plan eine leichte Abwandlung erfahren. Der übervorsichtige Teil seiner Persönlichkeit, der stets aufmerksame Wächter mit seinen unablässigen Ermahnungen, dank deren er den Hütern alberner Gesetze in all den Jahren immer einen Schritt voraus gewesen war, versetzte ihn in Alarmzustand, forderte ihn auf, es sich noch einmal zu überlegen, erklärte, es sei gefährlich, sich zu weit in ihre Nähe zu begeben.
Er achtete nicht darauf. Diese Einwände hatten gegen das Verlangen, das in ihm brannte, einfach keine Chance. Er konnte diesem beruhigenden Einfluss gar nicht nahe genug kommen.
In dem Augenblick, in dem Vincent die Notaufnahme betrat, war ihm klar, dass er die Sache anders angehen musste. Er hatte bereits vor langer Zeit aufgehört, mit schnellen Lösungen zu rechnen, doch in diesem Fall hatte er es geschafft, noch etwas anderes zu unterschätzen – den Umstand, dass eine Notaufnahme der reinste Hexenkessel war. Eigentlich hätte er sich aus der Zeit, als er noch Streife ging, daran erinnern müssen.
Er löste sich aus dem Strom von Leuten, die an ihm vorbeieilten, lehnte sich an die Wand und beobachtete, was um ihn herum vorging. In weniger als zehn Minuten hatte er mehr dramatische Szenen gesehen als der durchschnittliche Kinobesucher an einem ganzen Abend.
Er sah Pfleger und Ärzte nach draußen zu einem Auto rennen, das mit quietschenden Bremsen und gellender Hupe direkt vor der Eingangstür der Notaufnahme zum Stehen kam. In Rekordzeit hatten sie den Beifahrer aus dem Wagen geholt, auf eine Trage gelegt und waren mit ihm in einem der Korridore verschwunden. Die Fahrerin, die sich am Rand der Hysterie befand, wurde zum Empfang geführt, wo überlastete Schwestern sich bemühten, die nötigen Informationen für die Aufnahmeformulare von ihr zu erhalten, während sie immer wieder flehte, man möge ihr doch sagen, wie es um ihren Passagier stehe. Damit befand sie sich in Konkurrenz mit den Angehörigen anderer Patienten, die alle mit diversen Bitten um Auskunft oder eine schnellere Behandlung ihrer Lieben um die Aufmerksamkeit der Schwestern wetteiferten.
Wenige Augenblicke später stürmten durch die gleiche Tür einige Sanitäter mit einer Trage. Im Nu
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