Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
notdürftig in Stand gehalten, die Möbel mit schmutzig weißen Laken bedeckt, die Teppiche in den Ecken zusammengerollt. Auf den Böden lag dick der Staub.
Bühler öffnete eine Tür. »Das hier ist die Bibliothek. Sie sehen, Sie werden eine Menge Arbeit haben!«
»Das kann man wohl sagen!« Julia verschlug es den Atem. Die Bibliothek war riesig. Ein langer Saal mit gotischen Fenstern war von einem Ende bis zum anderen mit Bücherregalen verkleidet, auf denen Tausende Bände standen. Sie würden Wochen brauchen, um alle Werke auch nur herunterzunehmen und durchzusehen! Gar nicht zu reden von der schwierigen Arbeit, die wertvollen Bände auszusortieren.
Jan jedoch war hier vollkommen in seinem Element. »Erst dachte ich ja, Markus hätte mich nur aus Freundschaft engagiert, um mir einen Job zu verschaffen. Aber für die Arbeit hier würde er eigentlich fünf Bibliothekare brauchen!«
Bühler nickte. »Hier ist sicher manches Wertvolle versteckt. Es gibt zwar Kataloge, aber die sind auch schon hundert oder mehr Jahre alt. Ich zeige sie Ihnen.«
Julia schritt an der Bücherwand entlang. Sie versuchte zu schätzen, wie viele Werke hier standen. Dabei stieß sie an eines der Regale, und einige Bücher, die auf dem Rand gelegen hatten, fielen zu Boden. Sie entschuldigte sich rasch und hob sie auf. Eines trug den Titel: »Von der Teufelsgräfin zu Heidebrock und den Unglücklichen, die ihr zum Opfer fielen.«
Jan und der Verwalter waren bereits zum anderen Ende des Saales gegangen. Julia blieb allein zurück. Sie trat mit dem Folianten an die Lampe heran und las: »An diesem Abend saß einer der alten Diener des Hauses allein in seiner Kammer. Sein Name war Eberhard. Früher war er einer der Leibdiener der Gräfin gewesen, aber nach ihrem Sturz hatte er froh sein müssen, dass er der Inquisition durch die Finger gerutscht war und im Haus bleiben durfte. Jetzt war er ein missgünstiger alter Mann, bleich und mit struppigem weißem Haar. Er saß am Fenster und betrachtete die Sterne, die draußen am Himmel funkelten, und die dünnen Rauchfäden, die aus den Kaminen aufstiegen.
Wie aus dem Nichts sprach ihn eine liebliche Stimme an: ›Eberhard, mein Getreuer, willst du mich nicht hineinbitten?‹
Der Mann schreckte auf. Er kannte die Stimme. Hastig erhob er sich und beugte sich aus dem Fenster. Er sah aber nur ein dünnes, glitzerndes Gespinst, das in der Abendämmerung wie losgerissene Spinnweben tanzte.
›Bitte mich hinein‹, wiederholte die Stimme. ›Du weißt doch, wer ich bin, nicht wahr?‹
Gewiss wusste er das. Sein Herz pochte so heftig, dass er dachte, es müsse ihm zum Munde herausspringen. Vor vielen Jahren war er leidenschaftlich und hoffnungslos in sie verliebt gewesen – ein Diener in seine Herrin. Sie hatte mit seinen Gefühlen getändelt und gescherzt, bis die Katastrophe hereinbrach.
Die Stimme vor dem Fenster flüsterte: ›Ich habe eine angenehme Gestalt, Eberhard. Willst du mich sehen? Dann fordere mich auf, einzutreten.‹
Er wusste, dass sie eine Vampirin war. Er wusste auch, dass sie das Haus nicht betreten konnte, wenn nicht jemand sie dazu aufforderte. Er wusste, dass sie Schrecken über das Schloss bringen würde. Aber die alte Gier glühte in ihm auf, seine längst erschlaffte Männlichkeit richtete sich noch einmal in jugendlicher Leidenschaft auf. Mit einer Stimme, die beinahe erstarb, flüsterte er: ›Kommt, gnädige Herrin. Ich bitte Euch herein.‹
Etwas zischte, und einen Moment lang leuchtete es wie ein Blitz in der dämmrigen Kammer auf. Dann stand sie vor ihm – in der wundervollen Gestalt, die seit zwanzig Jahren durch seine Träume geisterte. ›Komm und küss mich‹, wisperte sie.
Vor Lust wie von Sinnen vergrub Eberhard den Kopf an ihrem Busen. Halb ohnmächtig ließ er es geschehen, dass sie seinen Hals zur Seite bog, ihr Mund näherte sich – ein kleiner Biss nur war zu verspüren, wie von einer Schlange, aber tödlich für Körper und Seele.
Er wollte sie umarmen, aber jetzt lachte sie höhnisch auf und schlug ihm auf die Finger. Gleich darauf war die Gestalt verschwunden. Nur das silbrig glitzernde Gespinst schwebte noch in der Nähe der Tür. ›Ich komme wieder‹, flüsterte die Stimme. ›Öffne mir jetzt die Tür und lass mich gehen. Ich komme wieder.‹
Von da an kam sie jede Nacht zu ihm und saugte sein Blut, bis der unselige Narr in ihren Armen starb.
Am nächsten Abend fuhr ein Bauer mit seinem Ochsengespann vom Dorf Fahrning nach Heidebrock. Die
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