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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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den Bart schmieren zu lassen.« Robert drückte seinem Freund ein Glas in die Hand. Dann nahm er einen Schürhaken aus dem Ständer, bückte sich und stocherte damit in der Glut des Kamins herum. »Du glaubst also nicht, dass dieser Konflikt nur von kurzer Dauer sein wird?«
    »Ich habe keine besondere Gabe, in die Zukunft zu schauen, Robert, aber in der Vergangenheit haben sich solche Mutmaßungen oft als erschreckend optimistisch erwiesen.«
    Robert schob die Kohlen weiter zusammen, stand dann wieder auf und lehnte am Kaminsims. »Was hältst du nun von der Situation jenseits des Kanals?«
    Charles ging ein paar Schritte, machte kehrt und betrachtete seinen Freund, der von einem leichten Anflug von Traurigkeit erfasst worden war. »Es wird von Tag zu Tag beängstigender. So sehe ich das. Die Girondisten standen für einen moderateren Ton, aber seitdem sie fort sind, fürchte ich mich vor den nächsten Ereignissen. Du hast die Berichte über die Gefängnismassaker letzten Herbst gelesen. Der Groll des Pariser Mobs kann leicht wieder entfacht werden. Diese Leute haben noch üble Dinge vor, auch wenn Marat sie nicht mehr provozieren wird. Ich sage nur so viel, Robert: Ich danke Gott für meinen englischen gesunden Menschenverstand, denn sonst wäre ich vielleicht auch heute in diesem Mob.«
    »Ich bin auch dankbar für deine englische Hälfte«, sagte Robert. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich ohne deine Freundschaft hätte aufwachsen sollen.«
    Die beiden Männer erhoben ihre Gläser - ein schweigender Toast auf das Band ihrer Freundschaft.
    »Vielleicht sollten wir uns beide etwas Mäßigung auferlegen«, sagte Robert. »Ein bisschen Wein, und du wirst unangenehm direkt, und ich lasse mich von meinen Gefühlen überwältigen.«
    Charles lächelte. Er wusste, was in seinem Freund vorging, aber keiner von beiden würde jetzt darüber sprechen. Männer zogen in den Krieg, und nicht alle kehrten zurück. Charles' Vater war auf See geblieben, als sein Sohn noch ein kleiner Junge war.
    Als seien seine Gedanken in dieselbe Richtung gegangen, fragte Robert: »Wie geht es deiner Mutter?«
    »Oh, sehr gut, als sie mir zuletzt schrieb. Das Leben in Boston scheint angenehm zu sein, und ihr Mann verehrt sie. Man könnte meinen, Amerika sei allein für sie geschaffen worden, so sehr scheint dieses Land zu ihrem Temperament zu passen.«
    »Das freut mich zu hören. Sie hat es verdient, glücklich zu sein. Gott weiß, dass sie genug Sorgen hatte.«
    Charles ging darauf nicht ein. Die Wahrheit schien an diesem Abend allgegenwärtig zu sein. In jenem Sommer war das in London nicht oft der Fall.
    »Und eine französische Mutter«, stellte Henrietta fest. »Das erklärt manches.«
    Mrs Hertle war nicht entgangen, wie schnell ihre Cousine das Gespräch auf den Jugendfreund des Hausherrn gelenkt hatte, auf Charles Hayden.
    »Da ist etwas in seinen Zügen ...« Eine Falte erschien auf Henriettas Stirn, wenn sie ihre nachdenkliche Miene aufsetzte.
    »Charles betont immer, er habe die gallische Nase seines Großvaters geerbt«, antwortete die Dame des Hauses. »Seine unvorteilhafte Nase, wie er sich ausdrückt.«
    »Aber von seinem ganzen Verhalten wirkt er eher englisch auf mich«, sagte Henrietta.
    »In der Tat, aber ich habe den Eindruck, dass er doch französischer ist, als man vermuten würde. Bei diesen Männern von der Kriegsmarine muss man aufpassen, Henri, sie sind nicht immer so, wie sie scheinen. Sowohl Robert als auch Charles sind in ihrem Leben viel auf See gewesen - beide schon mit dreizehn Jahren - und haben zusammen als Midshipmen angefangen. Von Beginn an haben sie gelernt, Entschlossenheit zu zeigen. Denn man setzt das Leben vieler Matrosen an Bord aufs Spiel, wenn man in einem ungünstigen Augenblick zögert. Einige Männer der Navy nehmen diese Entschiedenheit mit an Land, obwohl sie sich dann nicht mehr so gut mit allem auskennen wie auf See. Die Nachteile dieses Benehmens habe ich schon oft mit eigenen Augen gesehen. Was für ein Glück, dass Robert nicht unter dieser Charakterschwäche leidet. Man braucht Zeit, wenn man diese Marineleute verstehen will, wie ich festgestellt habe.«
    Henrietta nickte. Ihre Aufmerksamkeit schien offenbar einer Falte im Rock ihres Kleides zu gelten, die sie nun glatt strich. Sie hatten auf Stühlen im Salon Platz genommen und sprachen leise miteinander.
    Mrs Hertle war früher schon einmal aufgefallen, dass Frauen sich nie neutral zu Charles Hayden äußerten: Entweder empfanden

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