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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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darauf eingehen, als Robert das Wort ergriff.
    »Er ist eben auf einem Schiff zu Hause, vorzugsweise in der Mitte des Ärmelkanals, zwischen beiden Ländern.«
    Doch Henrietta konnte bei diesem kleinen Scherz nicht lächeln. Sie sah Hayden einen Moment sehr ernst an, ehe sie rasch den Blick abwendete.
    »Henrietta schreibt einen Roman, wusstest du das schon?«, fragte Mrs Hertle, als gebe sie flüsternd ein Geheimnis preis.
    »Komm, Elizabeth, es gibt doch noch so etwas wie Stillschweigen«, schalt Henrietta ihre Cousine, aber Hayden glaubte, aus dem Tonfall herauszuhören, dass die junge Frau nicht sehr empört darüber war, dass dieses Thema ans Licht kam.
    »Darin geht es um zwei Frauen«, fuhr Mrs Hertle mit diebischem Vergnügen fort. »Die eine ist eine gebildete Frau wie Henrietta, die andere hat keine nennenswerte Bildung genossen, steht aber gesellschaftlich gut da. Wie kommst du voran, Henri?«
    »Ich mühe mich redlich, aber von Vorankommen kann eigentlich keine Rede sein.«
    »Du musst weitermachen. Kunst entsteht nicht ohne Widrigkeiten.« Mrs Hertle wandte sich an Hayden. »Ich durfte schon einige Seiten lesen und kann mich für die Fähigkeiten der Verfasserin verbürgen. Sie hat wirklich Talent.« Sie lächelte und steckte die Männer damit an. »Es gibt da aber eine Sache, bei der sich die Verfasserin nicht entscheiden kann. Sehr zu meinem Verdruss scheine ich nicht Gehör zu finden. Nun, ihr Herren, was ist eure Meinung? Sollte nicht der gebildeten Frau das glücklichere Ende beschieden sein? Genau darüber diskutieren wir seit Monaten.«
    »Diese Herren sind nicht an Romanen interessiert!«, warf Henrietta ein.
    »Zufällig weiß ich, dass Leutnant Hayden Rousseaus Emile gelesen hat«, wisperte Mrs Hertle hinter vorgehaltener Hand, »und Kapitän Hertle genoss einmal einen Briefroman von Richardson.«
    »Wem soll Ihrer Meinung nach das glücklichere Ende beschieden sein, Miss Henrietta?«, fragte Hayden.
    Sie schüttelte den Kopf und sah tatsächlich ein wenig verzweifelt aus. »Mal denke ich, es müsste die eine Hauptfigur sein, dann tendiere ich wieder zu der anderen.«
    »Natürlich sollte die gebildete Frau letzten Endes ihr Lebensglück finden«, beharrte Mrs Hertle. »Und der anderen Frau widerfährt Unglück, aber vielleicht kann sie nichts dafür. Kein tragischer Fall in dem Sinne, sondern eine späte Selbsteinsicht. Was kann man auch von jemandem erwarten, der nie über die Zeit nachgedacht hat, die uns auf Erden vergönnt ist?«
    »Aber du betonst das persönliche Glück immer so«, erwiderte Henrietta. »Ich weiß ja, dass die Amerikaner dieses Wort in ihrer Unabhängigkeitserklärung verewigt haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob das Streben nach Glück die größte Bestimmung der Menschheit ist. Was denkst du, Robert?«
    »Ach, die brauchst du nicht zu fragen«, unterbrach Mrs Hertle sie. »Männer der Navy müssen auf diese Frage immer antworten, die Pflicht sei die größte Bestimmung.«
    Robert Hertle schienen die Worte seiner Frau nicht zu beunruhigen. »Ich gebe nicht vor, eine Antwort zu wissen, wenn sich bereits klügere Köpfe dieser Frage annahmen und versagten.«
    »Gewiss haben sich weniger kluge Köpfe als du schon zu diesem Thema geäußert«, antwortete Henrietta. »Komm schon, du hältst doch sonst nicht mit deiner Meinung hinterm Berg ...«
    Robert lachte fast ein wenig verlegen. »Glück ist selbstverständlich sehr wichtig für mich, aber ich setze mein Glück aufs Spiel, wenn ich meine Frau zurücklasse und in den Krieg ziehe. Daher muss ich wohl einer dieser Marineleute sein, die tagein, tagaus von Pflicht sprechen.«
    Henrietta Carthew dachte einen Moment über diese Worte nach, ehe sie sich an Hayden wandte. »Stimmen Sie Ihrem Freund zu, Leutnant?«
    »Ich fürchte, gerade die Leute, die in keiner Weise Anspruch auf Glück oder Zufriedenheit erheben, haben sehr viel erreicht. Ich vertrete diesbezüglich zwei Ansichten. Wie Mrs Hertle wünsche auch ich mir nichts sehnlicher, als glücklich und zufrieden zu sein, und doch frage ich mich, ob ich dann nicht zu wenig im Leben erreiche. Ich denke, die gebildeten Frauen führen womöglich nicht das glücklichste Leben, machen aber mehr daraus.«
    Henrietta suchte ganz kurz Haydens Blick, schaute dann aber wieder weg. »Und ich fürchte, Sie haben recht. Wer einmal von dem Baum der Erkenntnis gegessen hat, muss den Garten verlassen und die harte Welt betreten.«
    »Du siehst«, stellte Mrs Hertle fest, »dort sitzt

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