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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
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bewachten ihn zusätzlich. Hayden versuchte den Franzosen einzuschätzen und war von dem Anblick ebenso angewidert wie fasziniert. Der Mann war jung, vielleicht Anfang zwanzig. Mit seinem dunklen Haar sah er auffallend gut aus, obwohl er von schmaler Statur war. Er wirkte sehr ernst und gekränkt, als rechnete er jeden Augenblick damit, schlecht behandelt zu werden. Und doch schien er noch seinen Stolz zu haben. Vielleicht war es auch nur Trotz.
    »Monsieur«, grüßte Hayden.
    »Capitaine«, antwortete der Mann, nickte ehrerbietig und hob fast flehentlich die zusammengebundenen Hände. »Ich bin Giles - Sanson«, sagte er mit dem Akzent der gebildeten Oberschicht aus Paris. »Es wird Sie vielleicht nicht kümmern, Monsieur, aber wenn ich noch länger bei meinen Landsleuten bleibe, werden sie mir wahrscheinlich etwas antun, denn die paar Deckoffiziere haben nicht genügend Autorität.«
    »Und warum sollte Ihnen jemand etwas antun, Monsieur Sanson?«
    Der Mann zögerte und suchte kurz Haydens Blick. »Ich habe versucht, es zu verheimlichen«, erklärte er, »aber die anderen haben herausgefunden, dass meine Familie seit mehreren Generationen - Scharfrichter stellte. Wir werden verachtet, Monsieur, und obwohl ich selbst nie bei einer Hinrichtung geholfen habe - ich habe sogar versucht, mich von dem Beruf meiner Familie zu distanzieren -, hassen die Leute mich. Ich liefere mich Ihnen auf Gnade und Ungnade aus, Capitaine, und bitte um Ihren Schutz. Denn sonst, so fürchte ich, wird man mich vielleicht sogar töten.«
    Hayden musterte den jungen Mann. Während seines Aufenthalts in Frankreich hatte er von les bourreaux gehört, wusste aber nicht viel über diese Leute. Seit einigen Jahrhunderten hatte ein kleiner Kader Familien als Scharfrichter gedient. Diese Menschen wurden verachtet, gefürchtet und aus der Gesellschaft ausgestoßen. Sie heirateten untereinander, lebten oft an einem Ort zusammen und bildeten somit eine geheimnisumwitterte kleine Gesellschaft. Eine Generation gab die Geheimnisse des makabren Berufs an die nächste weiter - neuerdings war die Guillotine hinzugekommen. Haydens Onkel hatte ihm einmal erzählt, dass manche Scharfrichter während ihrer Amtszeit viele Hundert Hinrichtungen durchgeführt hatten. Und hier stand nun ein Kind aus einer solchen Familie gefesselt vor ihm und bat um Haydens Schutz.
    »Ich kann dafür sorgen, dass Sie getrennt von Ihren Landsleuten untergebracht werden, Monsieur Sanson, aber dann muss ich Sie in Eisen legen lassen, solange wir auf dem Schiff sind.«
    »Capitaine, ich halte lieber das aus als den Hass meiner Landsleute. Und wenn ich Ihnen irgendwie zu Diensten sein kann, dann schwöre ich Ihnen, dass ich nicht fliehen werde und Ihnen auch keine Schwierigkeiten mache.«
    Hayden sah dem Mann prüfend in die Augen und suchte nach Anzeichen einer Lüge. »Welche Stellung hatten Sie an Bord?«
    »Ich half dem Koch, aber als die anderen herausfanden, wer ich bin, wollten sie das Essen nicht mehr anrühren, das ich zubereitet hatte. Der Capitaine gestattete mir, dass ich sein Diener werde, doch ich glaube, er dachte genauso verächtlich über mich wie die anderen.«
    »Dann werde ich Sie zu meinem Diener ernennen, aber wenn Sie mir Scherereien machen, landen Sie sofort wieder bei Ihren Landsleuten. Und nachts werde ich Sie in Eisen legen müssen.«
    Der Mann senkte den Kopf. »Ich werde alles tun, um mich für Ihre Freundlichkeit zu revanchieren, und ich schwöre, dass ich mich in allem, was ich tue, wie ein Engländer benehmen werde.«
    »Lassen Sie den Mann frei«, wandte Hayden sich in Englisch an die Wachen. »Er wird mein Diener sein, bis wir Plymouth erreichen.«
    Man nahm Sanson die Fesseln ab. Er rieb sich die Handgelenke, und in seinen Augen schimmerten Tränen.
    »Ich bin ohne meine Sachen an Bord gekommen. Nicht einmal ein Rasiermesser habe ich bei mir«, sagte Hayden dem Franzosen. »Daher werde ich mich an den persönlichen Dingen der französischen Offiziere bedienen müssen.«
    »Da der Capitaine nicht mehr lebt«, sagte Sanson, »sehe ich gleich nach, was sich finden lässt. Wenn Sie das wünschen.«
    »Ja, gehen Sie in die Kajüte. Wir sprechen später weiter.«
    Der Mann nickte und entfernte sich mit einem letzten Seitenblick auf die beiden Seeleute, die immer noch ihre Musketen auf ihn richteten.
    »Ich hoffe, Sie wissen, was Sie da tun«, mahnte Bournes Leutnant.
    »Ja, das hoffe ich auch.«
    »Wer ist dieser Mann, Mr Hayden?«, wollte der Leutnant

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