Unter feindlicher Flagge
darin bestand, dass sie die Tyrannei und die Feigheit von Kapitän Sir Josiah Hart nicht mehr hatten ertragen können.
Es klopfte, und der Doktor erschien. Hayden lud ihn ein, hereinzukommen.
»Wie geht es Ihnen heute Abend, Mr Hayden?«, fragte Griffiths mit merklich undeutlicher Artikulation.
»Ich schreibe Briefe, die den einwandfreien Charakter mehrerer der Meuterer bezeugen sollen. Eine recht nutzlose Angelegenheit, aber ich habe das Gefühl, dass ich es tun muss.«
»Gut für Sie, aber verschwenden Sie nicht zu viel Mühe darauf, sich um sie Sorgen zu machen. Wir haben alle unter der Schikane von Hart gelitten, und trotzdem haben wir uns nicht dazu hinreißen lassen, bei der Meuterei mitzumachen. Für viele war es vielleicht eine Augenblicksentscheidung, und ihr Groll gewann die Oberhand über ihre bessere Einsicht, die zwar schnell, aber zu spät zurückkehrte. Es ist nun mal so, sie haben eben diesen Weg gewählt, wir aber nicht. Vergeuden Sie nicht Ihre Kräfte damit, sie zu bemitleiden.«
»Aber ich habe wirklich Mitleid mit ihnen.« Hayden lehnte sich vor und fuhr ganz leise, aber eindringlich fort: »Haben wir uns damals nicht verschworen, Hart zur passenden Zeit die geeignete Medizin zu verabreichen, um das Prisengeld zu erhalten? War das nicht unsere eigene kleine Meuterei?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Mr Hayden. Um ehrlich zu sein, ich fürchte, Sie sind betrunken. Kapitän Hart litt an Migräne und Beschwerden durch Gallensteine. Kommen Sie, ich fülle Ihr Glas wieder.« Damit langte er nach der Karaffe, aber so unsicher, dass sie fast umgefallen wäre.
»Haben Sie nicht schon genug gehabt, Doktor?«, fragte Hayden.
Griffiths lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. »Längst nicht. Ich kann immer noch etwas spüren, bin noch nicht gefühllos - ein Zustand, den ich aber sehnsuchtsvoll erstrebe. Haben Sie übrigens bemerkt, wie gut ich diesen gewählten Ausdruck verwendet habe? - ein Zustand, den ich aber sehnsuchtsvoll erstrebe.« Der Arzt verfiel in Schweigen. Einen Augenblick lang dachte Hayden gar, er sei weggetreten.
»Wissen Sie«, nahm Griffiths das Gespräch wieder auf, »von allen Verbrechen Harts, und ihrer sind viele, erscheint mir die Hinrichtung von McBride das verabscheuungswürdigste.«
»Sie sollten sich keine Vorwürfe machen, Doktor. Sie haben nur ausgesagt, dass der Finger zu keinem Mann gehörte, der auf dem Schiff geblieben war.«
Griffiths, nun ganz und gar nicht mehr nüchtern, machte eine fahrige Handbewegung. »Vergessen Sie meinen Anteil daran. Vielleicht werde ich dafür verurteilt, vielleicht aber auch nicht. Hart hat einen Mann für ein Verbrechen hinrichten lassen, das er nicht begangen hatte. McBride war sicherlich ein halsstarriges und streitsüchtiges Individuum, aber den Tod hatte er nicht verdient.« Eine Pause trat ein. »Ich bin gelegentlich auch streitsüchtig.«
»Das habe ich noch nie bemerkt, Doktor.«
»Hart hätte man in den Schurkenritterstand versetzen sollen.«
Hayden lachte.
In der nun einsetzenden Stille war Hayden sicher, dass jemand gerufen hatte, ein Kommandant sei längsseits gekommen. Er hörte dumpfe Schritte auf dem Niedergang und dann ein lautes Klopfen an der Tür.
»Kapitän Gardner bittet um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen, Sir.«
»Gardner? Zu dieser späten Stunde?« Hayden erhob sich rasch. »Bringen Sie den Doktor bitte in seine Kabine, Mr Jennings. Ich glaube, er hat einen Anflug von Seekrankheit.«
»Hier im Hafen, Sir?«
»Muss der Rotwein sein.«
Hayden eilte die Leitern hinauf, und oben sah er, wie Gardner ganz unzeremoniell auf das inzwischen dunkel gewordene Deck kletterte.
»Kapitän Gardner, ich muss mich vielmals entschuldigen. Nicht einmal ein Bootsmann ist da, um mit seiner Pfeife Ihre Ankunft zu verkünden, Sir.«
»Es war meine Absicht, keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, Mr Hayden. Ich muss mich entschuldigen, weil ich unangemeldet hier erscheine. Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?«
»Aber sicher, Sir.«
Sie zogen sich in Harts Kajüte zurück, und Hayden schenkte seinem Gast ein Glas Wein ein.
Gardner schaute sich in dem leeren Raum um. »Hart hat seine Sachen an Land bringen lassen?«
»Ja.«
Gardner nickte zufrieden. »Ich glaube nicht, dass er je wieder zur See fahren wird.«
»Mit seiner Erhebung in den Ritterstand und seinem wiederaufpolierten Ruf ist der Rang eines Admirals sicher nicht mehr in weiter Ferne. Admiral Sir Josiah Hart!«
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