Unter feindlicher Flagge
lang herrschte Schweigen. Hayden wartete darauf, dass Duncan fortfahren würde, dass er Haydens Namen nennen und das sofortige und vollständige Ende seiner Karriere verkünden würde. Stattdessen aber wandte sich der Admiral an einen der Kapitäne und sprach leise mit ihm. Das Kriegsgericht war vorüber.
Hayden wusste nicht, ob er erleichtert oder wütend sein sollte. Kurzzeitig sank er auf seinem Stuhl zusammen, als ihm von allen Seiten gratuliert wurde. Jemand ergriff seine Hand und drückte sie fest. Und dann noch einer. Durch das Stimmengewirr hindurch rief Muhlhauser etwas, das aber von niemandem wahrgenommen wurde. Wenigstens einer der verängstigten Besatzungsmitglieder verbarg das Gesicht und weinte.
Nacheinander verließen die Männer die Kabine. Sie folgten der jubelnden Mannschaft der Themis, von der einige Männer vor Freude herumsprangen, noch ehe sie die Tür erreichten. Hayden blieb stehen und wartete, bis die Leute vor ihm weitergingen. Griffiths suchte seinen Blick und lächelte. Er war offensichtlich erleichtert, obwohl für ihn nie auch nur die geringste Gefahr bestanden hatte.
Hayden überlegte, ob er mit Gardner sprechen sollte. Aber als er die dicht gedrängte Menge um die Kommandanten des Gremiums herum sah, besann er sich eines Besseren. Als er mit den Übrigen den Raum verließ, bemerkte er jedoch, wie Hart auf Duncan und die anderen Kapitäne zuging. Diese Herren standen in kleinen Gruppen an ihren Tischen, vertieft in Gespräche mit einigen Freunden. Als Hart auf den Admiral zuging, wandte Duncan ihm demonstrativ den Rücken zu und begann ein Gespräch mit North. Und zwar in einer Weise, die erkennen ließ, dass er nicht gestört werden wollte. Einen Augenblick lang blieb Hart stehen, und Röte überzog sein Gesicht. Dann wandte er sich Spencer zu, der ihn genauso deutlich schnitt. Bainsbridge und einige andere kamen schließlich Hart zu Hilfe und schritten rasch mit ihm davon.
Hayden bemerkte, wie Wickham dieses Schauspiel ebenfalls beobachtete.
»Und wenn ich darüber nachdenke, dass ich ihn einmal wirklich für den Größten innerhalb meines Bekanntenkreises gehalten habe ...«, sagte Wickham, wobei er einen Anflug von Traurigkeit im Ton nicht unterdrücken konnte.
So fallen die Helden unserer Jugend, dachte Hayden, sagte aber nichts.
Er schien in einer Art Benommenheit auf das Deck hinaufzuschweben und dann in das wartende Boot zu sinken.
Sobald sie sich außer Hörweite des Flaggschiffs befanden, platzte es wütend aus Barthe heraus: »War das nicht das vollkommene Beispiel von Admiralitätsjustiz?«, fragte sich der Master mit Bitterkeit. »Die Meuterer sollen hängen, aber der Mann, der sie dazu trieb, wird geadelt. Verdammte Navy!«
Hayden setzte sich an den Tisch in der Kabine des Kommandanten und schrieb Briefe für mehrere der angeklagten Meuterer. In jedem brachte er zum Ausdruck, dass sie vor der Meuterei Männer von einwandfreiem Charakter und lobenswertem Arbeitseifer gewesen waren. Er wusste, dass diese Briefe keinerlei Wirkung haben würden. Die Männer würden alle hingerichtet. Dennoch schrieb er sie gewissenhaft, vielleicht mit keinem anderen Ziel, als den Männern für einige Tage Hoffnung zu geben oder auch um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Wenn er jetzt zurückblickte, fragte er sich, ob er die Meuterei nicht in irgendeiner Weise hätte abwenden können. Auf diese eine Frage kam er fast stündlich gedanklich zurück. Gewiss, Stuckey und seine Freunde hatten die allzu verständliche Wut darüber ausgenutzt, dass Hart Aldrich hatte auspeitschen lassen. Darüber hinaus hatten sie die Feigheit des Kommandanten bei Belle Ile angeprangert, gerade als die Männer anfingen, ihre Selbstachtung zu finden. Niemand konnte leugnen, dass Hart viel dazu beigetragen hatte, die Autorität seines Ersten Leutnants zu untergraben, und sich geweigert hatte, auf seine Warnungen zu hören. Aber trotz alledem fragte sich Hayden, ob er nicht noch etwas anderes hätte tun können. Hätte er etwa alle Offiziere zusammenrufen müssen, um seine Warnungen hinsichtlich der Moral der Mannschaft zu wiederholen? Hätte er nicht doch noch einen weiteren Versuch unternehmen sollen, den Kommandanten zu überzeugen? Er fragte sich, ob nicht vielleicht sein verletzter Stolz ihn dazu gebracht hatte, die Situation eskalieren zu lassen und zu denken: Ich habe meine Pflicht getan, nun soll Hart eben ernten, was er gesät hat. Und nun würden die Männer hängen, deren eigentliches Verbrechen
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