Unter feindlicher Flagge
verlassen, Mr Hawthorne.«
Hayden nahm von seinem Diener das Entermesser entgegen, kletterte über die Reling und suchte sich einen Platz im Bug des Beiboots und nicht hinten beim Bootssteuerer. So stand er nämlich im Rücken der Männer an den Riemen. Sie konnten ihn nur sehen, wenn sie sich zu ihm umdrehten, und das war unter den gegebenen Umständen ein Vorteil.
»Ablegen!«, rief er. »Halten Sie auf die Prise zu, Mr Childers.«
Die Boote legten ab, und die langen Riemen tauchten ins Wasser. Hayden starrte einen Moment lang in die Dämmerung und sah die Prise als dunkle Masse vor der Steilküste.
»Die Franzosen könnten noch versuchen, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen«, sagte Hayden den Männern, »insbesondere jetzt, da die Themis keinen Wind mehr hat und vielleicht die Geschütze nicht ausrichten kann. Wir müssen damit rechnen, dass sie uns am Entern hindern werden.«
»Aber die würden doch nie ...«, begann Childers, brach den Satz dann aber ab. »Oder doch, Mr Hayden?«
»Wenn das dort die französische Marine wäre, würde ich davon ausgehen, dass sie ehrbare Absichten haben, Childers, aber die Kapitäne dieser Schiffe sind oft auch die Eigentümer. Und das bedeutet, dass sie verzweifelter handeln und nicht überlegen, was ihnen blüht, wenn sie sich widersetzen. Aber hoffen wir, dass es nicht dazu kommt.«
Hayden schaute auf zum eigenen Schiff, das fast vollkommen ruhig in der See lag. Eine Stimme durchbrach die Stille des Abends.
»Was geht hier vor? Landry, der Teufel soll Sie holen! Wer hat die Kanone abgefeuert?« Sekundenlanges Schweigen. »Mr Hawthorne - was tun Sie da?«
Man konnte nicht verstehen, was der Leutnant der Seesoldaten antwortete.
»Ich fühle mich nicht gut ...«, hallte Harts Stimme über das Wasser. »Reichen Sie mir Ihren Arm, Doktor. Landry ...?«
»Sir«, erwiderte der Zweite Leutnant. »Es gibt kein Zurück. Dort wartet unser Prisengeld.«
Würde Landry etwa gar nicht erwähnen, dass die Boote längst im Wasser waren?
»Sind dies die Klippen von Brest?«, fragte Hart. Seine Sprechweise war schleppend.
»Verflucht!«, wisperte Hayden. »Pullt, Männer!«
»Wir beobachteten die französische Flotte, als der Wind abflaute, Kapitän Hart«, hörte Hayden die laute Stimme von Barthe.
Guter Mann, dachte Hayden. Damit lenkte er vielleicht die Aufmerksamkeit des Kommandanten von der Prise und den Booten ab. Inzwischen war es so dunkel, dass die Boote womöglich vom Deck der Fregatte aus kaum noch zu erkennen waren.
Nun schaute er hinüber zur Prise, um abzuschätzen, ob die Männer dort Widerstand leisten würden. Die Schaluppe des Frachtschiffs befand sich auf der Steuerbordseite, und die Männer ruderten wie besessen. Das zweite Beiboot fuhr im Kielwasser. Mit etwas Glück würde der Kapitän des Handelsschiffs nicht sehen, wie viele Männer die englische Fregatte verlassen hatten.
Hayden stand nun am Bug, führte die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief so selbstbewusst wie er nur konnte: »Préparez-vous à être abordés! Au moindre signe de résistance, notre navire ouvrira le feu.« [Bereiten Sie sich darauf vor, geentert zu werden! Beim geringsten Anzeichen von Widerstand wird unser Schiff das Feuer eröffnen.]
»Mr Hayden!«, schallte Landrys Stimme aus der Dunkelheit. »Kapitän Hart verlangt, dass Sie auf der Stelle zurück an Bord kommen!«
»Elender Feigling!«, schimpfte einer der Männer an den Riemen.
»Ruhe dort!«, fuhr Hayden dazwischen. Dann schaute er wieder in Richtung der Themis, die nun kaum noch im Zwielicht zu sehen war.
»Was soll ich jetzt machen?«, fragte der Bootssteuerer über die Köpfe der Rudergasten hinweg.
Hayden zögerte nur kurz. »Pullt weiter. Die sollen mich ruhig vor ein Kriegsgericht stellen. Ich werde trotzdem meine Pflicht tun.«
Einer der Männer meldete sich zu Wort. »Ich bin mir sicher, dass Leutnant Landry sagte: ›Kehren Sie sofort mit dem Schiff zurück.‹ Damit muss er die Prise gemeint haben. Kehren Sie mit der Prise zurück.«
»Wickham ...?«, fragte Hayden ungläubig. »Sind Sie das da vorn?«
»Ja, Sir.«
»Wie sind Sie an Bord gekommen?«
»Ich dachte, Sie könnten jede Hilfe brauchen, Sir.«
Hayden musste fast lachen. »Sind Sie sicher, dass Landry sagte ›mit dem Schiff‹?«
»Ziemlich sicher, Sir.«
»Dann haben Sie gewiss recht. Pullt weiter!«, befahl er und war erleichtert, als er sah, dass die anderen Beiboote nicht etwa zögerten, sondern ebenfalls
Weitere Kostenlose Bücher