Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Thomas Russell
Vom Netzwerk:
Meilen vom Haus seines Onkels entfernt auf einer französischen Prise und wartete darauf, am kommenden Tag für seine Pflichterfüllung getadelt zu werden - was für eine seltsame Situation.
    Hayden hatte schon Fahrten erlebt, bei denen der Wind und die See keinen klaren Kurs zuließen. Mit den Elementen konnte man sich bisweilen nicht messen, und daher war der Kommandant oft gezwungen, auf besseres Wetter zu warten oder einen anderen Ort anzusteuern, der gar nicht auf der Route lag. Und nun fragte sich Hayden, warum er überhaupt eine Karriere in der Royal Navy anstrebte, obwohl die Marine selbst wie eine Naturgewalt wirkte und ihn nicht recht zum Zuge kommen lassen wollte. Noch sah er keine Anzeichen, die auf einen Wetterwechsel hingedeutet hätten.
    Aber in diesem ungewissen Krieg hatte er sich für die englische Seite entschieden. Und ein Teil von ihm glaubte, dass er bei dem Volk seines Vaters Anerkennung finden würde, wenn er eine erfolgreiche Karriere vorzuweisen hatte.
    Natürlich war Hayden auch bewusst, dass sein Vater in der ganzen Angelegenheit den Ausschlag gegeben hatte. Denn er war ein aufstrebender Offizier gewesen, dessen Karriere dann jedoch ein jähes Ende genommen hatte. Da gab es eine Art Vermächtnis. Eine Aufgabe, die es noch zu Ende zu führen galt. Eine Erwartung, die erfüllt werden musste. Vielleicht war es töricht, gewiss aber sentimental. Doch Hayden wünschte sich, die Dinge zu Ende zu bringen, die seinem Vater verwehrt geblieben waren.
    »Einen Toten kannst du nicht mehr stolz machen«, sagte er zu sich selbst.
    Dann drehte er sich fast erschrocken um, als sich jemand in seiner unmittelbaren Nähe räusperte.
    »Ich denke, das ist nun meine Wache, Sir«, sagte Wickham. Im Mondschein erzeugten die Wanten ein Muster aus Licht und Schatten auf dem Gesicht des jungen Midshipman.
    »Tatsächlich?«
    Wickham nickte. »Ja, Sir.«
    »Dann gehört das Deck Ihnen. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mich ein wenig auf die Reling setze? Das Mondlicht ist so schön.«
    »Finde ich auch, Sir.« Wickham trat an die Bordwand und blickte hinaus aufs Meer. »Eine seltsame Nacht, Sir. Sie stimmt einen nachdenklich.«
    »Wieso?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. »Selbst so ein kleines Gefecht wie heute lässt einen philosophisch werden. Es ist nur schwer zu begreifen, dass ein Mensch eben noch gelebt hat und im nächsten Augenblick tot ist. Wie eine Kerze, die man löscht. Ich habe einem Franzosen mein Entermesser durch die Brust gestoßen - genau ins Herz, da bin ich mir sicher. Er fiel, und als ich die Klinge zurückzog, sah ich noch sein Gesicht. Er wusste im selben Moment, dass ich ihn getötet hatte. Diesen Ausdruck werde ich nie vergessen, Sir. Was für eine abscheuliche Tat - einem Menschen das Leben zu nehmen.« Der junge Mann verstummte.
    »Ja, das ist wahr. Es gibt nichts Schlimmeres. War das der Mann, der versuchte, mich mit dem Bajonett zu töten?«
    »Aye, Sir.«
    »Sie haben ihn getötet, aber mir dadurch das Leben gerettet, und dafür habe ich mich noch gar nicht bedankt.«
    »Keine Ursache, Sir. Vielleicht retten Sie auch mir eines Tages das Leben. Schiffsgenossen«, setzte er hinzu, als erkläre das alles.
    »Die Franzosen, die wir heute töten mussten ...«, sagte Hayden plötzlich, »... ich hatte das Gefühl, sie zu kennen. Als ich früher in der Gegend lebte, war mir der Hafen von Brest gut bekannt. Auf den Docks wimmelte es nur so von bretonischen Seeleuten mit ihren Kappen und aufgekrempelten Hemdsärmeln.« Hayden schaute im Mondlicht Wickham an und sah, dass sich Verzweiflung und Trostlosigkeit auf dem Gesicht des jungen Mannes abzeichneten. »Ich wünschte, ich hätte einen klugen Ratschlag für Sie, Mr Wickham, aber ich denke, man kann nur sagen: Es ist Krieg. Diese Männer hätten Sie ohne zu zögern getötet. Es ist furchtbar, aber den Radikalen muss Einhalt geboten werden. Am besten sorgen wir dafür, dass die Guillotine auf dieser Seite des Ärmelkanals bleibt.« Hayden fragte sich, ob seine eigenen düsteren Vorahnungen seine Worte so falsch klingen ließen.
    Der junge Midshipman nickte und bemühte sich redlich, seine Fassung wiederzuerlangen. »Ja, Sir. Es war nur das erste Mal - ich denke, ich werde schon damit fertig.«
    »Das werden Sie bestimmt schaffen.«
    Einer der Matrosen schlenderte an ihnen vorbei und hielt sich wach, indem er ein paar Schritte ging.
    »Ist beinah so wie Urlaub, nicht wahr, Sir?«, meinte Wickham und brachte Hayden zum Lachen. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher