Unter feindlicher Flagge
beiseite. »Gehen wir einen Moment unter Deck, falls ich Sie nicht zu sehr von Ihrer Arbeit abhalte.«
»Keineswegs.«
Kurz darauf betraten sie die Kapitänskajüte und nahmen an einem kleinen Tisch Platz.
»Dann erzählen Sie mir mal, was sich da wirklich in der Dunkelheit abgespielt hat, Charles. Wir hörten jemanden rufen, dass Sie zum Schiff zurückkommen sollten ...«
»Haben Sie das verstehen können? Wir waren uns nicht ganz sicher«, antwortete Hayden.
Bourne lächelte. »Also sind Sie vorgeprescht und nahmen das Handelsschiff durch höhere Gewalt ein?«
»Mehr oder weniger, ja.«
»Und wo war unser unerschrockener Kapitän Hart die ganze Zeit?«
»In seiner Kajüte. Er litt unter Migräne. Ich glaube, der Schiffsarzt hat ihm ein Schlafmittel gegeben. Wir hatten schon mit den Booten abgelegt, als der Kommandant an Deck kam.«
Bourne lehnte sich ein wenig in seinem Stuhl zurück. Seiner Miene war zu entnehmen, dass er sich so etwas schon gedacht hatte. »Er hatte also keine Ahnung, was vor sich ging?«
»Erst als wir dem Schiff einen Schuss vor den Bug gaben, um den Kapitän zur Aufgabe zu zwingen.«
Bourne schwieg einen Moment. Sorgenfalten gruben sich in seine Stirn. Dann trommelte er mit den Fingern auf dem Tisch.
»Ich stehe in Ihrer Schuld, Sir«, sagte Hayden leise. »Ich sollte vor ein Kriegsgericht gestellt werden, ehe Sie heute früh auftauchten.«
Bourne blies die Luft aus. »Vor ein Kriegsgericht! Aufgrund welcher Vorwürfe? Etwa wegen unangebrachter Tapferkeit?« Er schüttelte angewidert den Kopf. »Wie kam es, dass Sie ausgerechnet auf Harts Schiff landen mussten? Ich dachte, Sie würden zum Master und Commander ernannt, als Sie mein Schiff verließen.«
»Als ich die Tenacious verließ, sah es zunächst in der Tat danach aus, aber dazu kam es nicht. Ich stand ohne Aussicht auf Beförderung da, als der Erste Sekretär mir diese Stellung anbot.«
»Meinen Sie Stephens?«
»Ja, Sir.«
»Nun, wir wollen nicht unehrlich sein. Das ist eine schlimme Lage, Mr Hayden. Hart hat einen bestimmten Ruf innerhalb der Navy. Dennoch protegieren ihn einige Kommissare der Lords in der Admiralität. Aber unter seinem Kommando werden Sie nicht vorankommen. Ich werde meinen Bericht abschicken und betonen, was Sie geleistet haben. Trotzdem wird Hart die Lorbeeren ernten.« Bourne verlor sich für einen Moment in seinen Gedanken und sah seinen früheren Leutnant dann an. »Setzen Sie nicht Ihr Leben aufs Spiel, um durch Wagemut die Aufmerksamkeit der Admiralität auf sich zu ziehen. Es ist wahrscheinlich, dass Hart stets Ihre Taten verschweigen wird, es sei denn, es gibt Zeugen wie gestern Nacht.«
»Ich habe es nicht darauf angelegt, mein Leben aufs Spiel zu setzen. Wir hatten die Chance, ein feindliches Schiff aufzubringen, und da wog ich die Risiken ab und tat meine Pflicht. Ich kenne das Meer hier. Die einsetzende Ebbe hätte uns in Sicherheit gebracht, selbst wenn der ablandige Wind nicht rechtzeitig einsetzte. Was hätte ich sonst tun sollen?«
»Ganz recht, Charles. Ich wollte damit auch nicht andeuten, dass Sie keine Umsicht haben walten lassen. Sie haben alle Risiken abgewogen und dann ohne zu zögern gehandelt - wie ich es von Ihnen erwartet habe. Manch ein anderer hätte gezögert, bis die Gelegenheit vertan gewesen wäre. Aber so haben Sie Hart vor seiner Mannschaft nicht sonderlich tapfer aussehen lassen und alle Männer haben es mitgekriegt. Hart wird den Stachel spüren.«
»Ich kann tun, was ich will, ich könnte Kapitän Hart nie zufriedenstellen. Der Zweite Leutnant gibt bei jedem Anlass klein bei, und Hart verachtet ihn wie übrigens alle anderen an Bord. Ich stelle mich lieber einem Kriegsgericht, ehe ich so ende wie dieser Landry.«
»Das ist verständlich. Aber Männer wie ...« Bourne zögerte, beugte sich dann vor und sprach leise, aber ernst. »Männer, die insgeheim ihre Scheu kennen - sie hassen Offiziere wie Sie, Charles. Allein Ihre Anwesenheit stellt eine konstante Bedrohung für solche Leute dar, da sie immer wieder an ihre eigene Unzulänglichkeit erinnert werden. Ihre größte Angst ist, dass die Wahrheit ans Licht kommt.«
Auch Hayden sprach nun bewusst leise. »Aber Sie sagten ja schon, dass jeder in der Navy längst weiß, was dieser Mann für einen Ruf hat.«
Bourne hielt beide Hände hoch. »Ja, das stimmt. Aber der gute Mann bildet sich ein, dass dem nicht so ist. Nichts wäre ihm lieber, als für den tapfersten Mann in der Royal Navy gehalten zu werden.
Weitere Kostenlose Bücher