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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Hinausgehen drehte sich Joav noch einmal um und sagte: »Beeil dich nicht mit der Antwort. Denke ein, zwei Tage vernünftig darüber nach.«
    Martin dachte nicht über Joavs Vorschlag nach und gab ihm auch nach ein, zwei Tagen keine Antwort, auch nicht nach einem Monat. Das Atmen fiel ihm immer schwerer, dennoch verzichtete er nicht auf seine halben Zigaretten. Zu Osnat, die ihm jeden Abend ein Tablett mit einem zugedeckten Teller und einer zugedeckten Tasse aus dem Speisesaal brachte, sagte er: »Der Mensch ist grundsätzlich gut und großzügig und vernünftig, nur die Umgebung verdirbt uns.«
    Osnat sagte: »Aber was ist die Umgebung? Doch nur andere Menschen.«
    Martin sagte: »Im Krieg habe ich mich vor den Nazis versteckt, Osnat. Aber ein paarmal habe ich sie ganz aus der Nähe gesehen. Einfache junge Burschen, alles andere als Bestien, infantil und lärmend, sie haben herumgealbert, Klavier gespielt, kleine Katzen gefüttert, aber man hat ihnen eine Gehirnwäsche verpasst. Und nur infolge dieser Gehirnwäsche haben sie schreckliche Dinge getan, obwohl sie selbst nicht schrecklich waren,sondern nur verdorben. Verderbte Ideologien haben sie verdorben.«
    Osnat schwieg. Insgeheim dachte sie, dass auf der Welt Grausamkeit weit verbreiteter war als Barmherzigkeit und dass es manchmal sogar so war, dass Barmherzigkeit eine Form von Grausamkeit war. Dann spielte sie ihm drei, vier Lieder auf der Flöte vor, verabschiedete sich von ihm und nahm das Tablett mit dem Abendessen mit, das Martin kaum angerührt hatte. Sie dachte darüber nach, dass tief in uns allen Grausamkeit verborgen ist, sogar in Martin steckte ein gewisses Maß an Grausamkeit, selbst wenn es nur Grausamkeit gegen sich selbst war. Aber sie hielt es für sinnlos, mit ihm zu streiten, weil es ihm gutging mit seinem Glauben und weil er niemandem etwas Böses tat und vermutlich nie absichtlich etwas Böses getan hatte. Osnat wusste, dass Martin allmählich verlosch. Sie hatte mit dem Arzt gesprochen, und dieser hatte gesagt, eine Besserung sei nicht zu erwarten, und wenn seine Atmung immer schwächer würde, müsse man ihn wohl in ein Krankenhaus bringen. Lea Schindlin vom Gesundheitsausschuss hatte vorgeschlagen, dass der für die Verteilung der Arbeit zuständige Ausschuss Osnat wöchentlich vier Arbeitsstunden anrechnensollte, weil sie sich um Martin kümmerte. Aber Osnat hatte erwidert, sie kümmere sich aus Freundschaft um ihn, und es gebe keinen Grund, dafür Stunden von ihrer Arbeitszeit abzuziehen. Die Abendstunden in Gesellschaft des kranken Mannes, ihre kurzen Gespräche, seine Dankbarkeit, die Welt der Ideale und der Gedanken, die er vor ihr ausbreitete, das alles war ihr sehr kostbar, und sie zitterte bei der Vorstellung, dass diese Beziehung an einem nicht allzu fernen Tag zu Ende sein würde.
    Eines Tages befestigte Osnat am Schwarzen Brett im Eingang zum Speisesaal einen Zettel, auf dem in Martins klarer Handschrift stand:
    »Für alle, die es interessiert: Jeden Mittwoch zwischen sechs und sieben Uhr abends wird im Clubraum Esperantounterricht für Anfänger stattfinden, unter der Leitung von Martin van den Bergh.
    Esperanto ist eine neue und leichte Sprache, deren Ziel es ist, die ganze Menschheit zu vereinen und zumindest als Zweitsprache für alle Menschen zu dienen. Es ist eine Sprache mit einer einfachen, logischen Grammatik. Es gibt keine Ausnahmen, und man kann nach wenigen Unterrichtsstunden schon anfangen zu sprechen und zulesen. Interessierte mögen sich bitte unten auf diesem Zettel eintragen.«
    Es waren drei, die sich eintrugen: die Erste war Osnat selbst, nach ihr Zvi Provisor und als Dritter und Letzter Mosche Jaschar aus der elften Klasse der Kibbuzschule.
    Am Mittwoch schlurfte Martin, den quietschenden Kinderwagen mit dem Sauerstoffballon vor sich herschiebend, zum Clubraum, um die erste Esperantostunde zu geben. Osnat begleitete ihn und versuchte ihn behutsam zu stützen, aber er schüttelte ihre Hand ab und beharrte hartnäckig darauf, aus eigener Kraft zu gehen. Er konnte kaum die Füße heben und blieb am Hang immer wieder stehen, weil er keine Luft bekam, aber er war fest entschlossen und traf zehn Minuten vor der Zeit im Clubraum ein. Er setzte sich und wartete auf seine Schüler. Währenddessen rauchte er noch eine halbe Zigarette, blätterte ein wenig in der Abendzeitung und fand darin nur Wildheit und Hässlichkeit und auch ein Übermaß an Gehirnwäsche. Osnat goss ihm ein Glas Tee aus dem Samowar ein, der in

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