Unter Freunden
Gefühl, in Schweiß zu baden. Seine Kehle war trocken und rau. Seine Füße in den offenen Sandalen waren von Staub überzogen.
Um drei Uhr nachmittags, als die mörderische Sonne Staub und Steine zum Kochen brachte, erreichte Jotam die Ruinen von Deir Adschlun. Ungefähr vierzig Minuten streifte er dort umher, berührte die Mauerreste der Moschee, bückte sich und hob ein Tonstück auf, daseinmal Teil eines Wasserkruges gewesen war. Dann lief er weiter über die Wege, die voller Tonscherben und Dornen waren. Er stolperte beinahe über einen halb von Erde bedeckten Mühlstein. Eine erschrockene Eidechse oder Agame rannte schräg vor seinen Füßen vorbei. Und plötzlich hing ein Brandhauch in der Luft. Ihm war nicht klar, woher dieser Geruch kam, vielleicht wurde irgendwo weit weg Gestrüpp verbrannt. Endlich erreichte er den zugeschütteten Brunnen, aus dessen dunkler Tiefe ein leichter Aasgeruch aufstieg. Jotam setzte sich auf den Brunnenrand und wartete, ohne zu wissen, warum und worauf er wartete. Aus der Ferne drangen die Geräusche des Kibbuz zu ihm, seltsam dumpf, wie durch dicke Steinmauern. Schläge von Metall auf Metall. Hundegebell. Das Röcheln eines heiseren Traktorenmotors. Und auch der Schrei eines Mannes, der durch die Hitze bis hier herauf drang, ein Schrei und noch ein Schrei. Er beugte sich über den Brunnenrand, sah aber nichts als Finsternis, und es kam ihm vor, als hörte er in der Tiefe ein beständiges, gleichmäßiges Rauschen, das Rauschen eines fernen Meeres, wie wenn man eine Muschel ans Ohr hält. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, den Kibbuz bereits verlassen und ein anderes Leben begonnen zu haben, ein Leben ohne Ausschüsse und Versammlungen, ohne Mehrheitsmeinung und ohne das Schicksal der Juden. Er dachte an Nina Sirota und fragte sich, ob auch sie, wie fast der ganze Kibbuz, heute Abend gegen ihn stimmen würde. Und er sagte sich, dass weder Nina noch irgendein anderer Mensch im Kibbuz einen Grund hatte, seinem Antrag zuzustimmen, und wenn eine solche Bitte von einem der anderen jungen Leute gekommen wäre, hätte er selbst vielleicht auch gesagt, was soll das, und die Hand dagegen gehoben. Auf einmal verstand er, dass es in Wirklichkeit nicht um Arthurs Einladung ging, sondern um die Frage, ob er mutig genug war, den Kibbuz zu verlassen, seine Mutter und seinen Bruder, um allein und mit leeren Händen in die Welt zu ziehen. Auf diese Frage fand er keine Antwort. Dornen und trockene Blätter klebten an seiner Hose. Er stand auf, wischte sie weg und wandte sich zum Gehen, obwohl er eigentlich lieber als alles andere sitzen geblieben wäre, ohne sich zu rühren und ohne zu denken, und gewartet hätte, hier auf dem Rand des zugeschütteten Brunnens, inmitten der Ruinen von Deir Adschlun.
E speranto
O snat, seine Nachbarin, besuchte Martin van den Bergh gegen Abend. Sie trug ein Tablett mit einem Teller, der mit einem anderen Teller bedeckt war, und eine Tasse, bedeckt mit einer Untertasse. Martin lebte allein und litt an einer chronischen Atemwegserkrankung, die seinem übermäßigen Rauchen geschuldet war. Nachmittags saß er auf seiner kleinen Terrasse, las Zeitung und trug dabei wegen seiner Atemnot eine mit einem Sauerstoffballon verbundene Maske. Auch nachts, beim Schlafen, trug er die Sauerstoffmaske. Und trotzdem stand er jeden Morgen um sechs Uhr auf und ging für drei oder vier Stunden zur Arbeit in die Schusterei, solange seine Kräfte eben reichten. Er war prinzipientreu und glaubte, dass wir unsere ganze Kraft für die körperliche Arbeit einsetzen müssten. »Arbeit«, sagte er immer, »ist ein moralisches und seelisches Muss.«
»Ich habe dir etwas Leichtes aus dem Speisesaal gebracht. Vielleicht legst du jetzt die Zeitung zur Seite und isst etwas«, sagte Osnat.
»Danke. Ich habe keinen Hunger.«
»Du musst etwas essen. Wenigstens das Rührei und den Salat.«
»Vielleicht später.«
»Später ist das Ei kalt und der Salat schlaff.«
»Ich werde auch schon kalt und schlaff. Danke, Osnat. Du musst dich wirklich nicht um mich kümmern.«
»Und wer kümmert sich dann um dich?«
Osnat war seit einigen Monaten Martin van den Berghs Nachbarin. Seit Boas sie verlassen hatte und zu Ariela Barasch gezogen war, lebte sie allein. Jeden Tag brachte sie Martin sein Abendessen auf einem Tablett, weil der Weg zum Speisesaal oben auf dem Hügel wegen seiner Atemnot zu anstrengend für ihn war. Er war allein zu uns gekommen, aus einem anderen Kibbuz von Einwanderern aus
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