Unter Freunden
schwerer Arbeit bereit, aber keiner brannte innerlich vor Zorn über das Unrecht in der Gesellschaft. Nun, da die Leitung aus den Händen der Pioniere und Gründer in die Hände Joavs und seiner Freunde übergegangen war, war der Kibbuz dazu verdammt, allmählich in Kleinbürgerlichkeit abzurutschen. Und die jungen Frauen würden natürlich als Katalysator für diesen Prozess dienen. In zwanzig, dreißig Jahren würden sich die Kibbuzim in Siedlungen mit gepflegten Gärten verwandelt haben und ihre Bewohner in selbstzufriedene Häuschenbesitzer.
Joav sagte: »Es ist so: In der letzten Zeit haben sich ein paar Kibbuzmitglieder deinetwegen an mich gewandt, unter anderem Lea Schindlin im Auftrag desGesundheitsausschusses. Der Arzt hat ihr ausdrücklich gesagt, dass du nicht mehr in der Schusterei arbeiten darfst, und wir alle stimmen ihm zu. Die Luft in dieser Baracke ist zu stickig, und die Leder- und Leimgerüche sind bestimmt schädlich für deine Gesundheit. Der ganze Kibbuz ist der Meinung, dass du schon genug gearbeitet hast, Martin, jetzt ist es Zeit, sich ein bisschen auszuruhen.«
Martin nahm die Sauerstoffmaske vom Gesicht, fischte aus seiner Tasche eine zerdrückte halbe Zigarette und steckte sie mit zitternden Händen an, sog den Rauch ein und keuchte: »Und wer soll in der Schusterei arbeiten? Du etwa?«
»Wir haben schon jemanden gefunden, der dich vorübergehend ersetzen kann. Es gibt einen Schuster, einen Neueinwanderer aus Rumänien, der in der Nähe wohnt, im Durchgangslager. Er hat bislang keine Arbeit gefunden. In moralischer Hinsicht, Martin, gehört es sich, ihn bei uns zu beschäftigen und ihm und seiner ganzen Familie ein kleines Einkommen zu sichern.«
»Ein weiterer angestellter Arbeiter? Noch ein Nagel im Sarg des Prinzips der Eigenarbeit?«
»Nur so lange, bis wir unter uns einen finden, der dich bei dieser Arbeit ersetzen kann.«
Martin drückte vorsichtig seine Zigarette auf seinem Schustertisch aus, wischte die graue Asche ab und steckte die Kippe in seine Hemdtasche. Er hustete und keuchte, setzte aber die Sauerstoffmaske nicht auf. Sein mit grauen Stoppeln übersätes Gesicht hatte einen ironischen Ausdruck und sein Blick etwas Stacheliges.
»Und ich?«, fragte er mit einem schiefen Lächeln, »ist es aus mit mir? Kaputt? In den Müll mit mir?«
»Du«, antwortete Joav und legte die Hand auf Martins Schulter, »du kannst zu mir kommen und jeden Morgen ein, zwei Stunden mit mir arbeiten. Die Unterlagen ordnen. Wir haben beschlossen, die Papiere des Sekretariats in einem speziellen Schrank aufzubewahren. Vielleicht nicht wirklich ein Archiv, aber so etwas Ähnliches. Eine Art Samenkorn für ein späteres Archiv. Du kannst bei uns sitzen und Ordner anlegen. Weit weg von der stickigen Luft in der Schusterei.«
Martin hob einen staubigen Arbeitsschuh mit klaffender Sohle vom Boden auf, legte ihn vorsichtig umgedreht auf die Leiste, bestrich die Unterseite der Sohle mit einem dickflüssigen, scharf riechenden Leim, wählte aus einer Schachtel auf dem Tisch einige kleine Nägel und nagelte die Sohle mit fünf, sechs gezielten Hammerschlägen fest.
»Aber wie ist es möglich, dass man einen Mann von seiner Arbeit vertreibt, gegen seinen Willen, nur weil seine Gesundheit nachgelassen hat?«, murmelte er leise, als spräche er mit sich selbst und nicht mit Joav. »Bei uns ist doch ein derartiges darwinistisches Verbrechen überhaupt nicht vorstellbar.«
»Wir machen uns einfach Sorgen um dich, Martin. Wir wollen nur das Beste für dich. Und es ist eine Entscheidung des Arztes, nicht unsere.«
Darauf antwortete Martin van den Bergh nicht. Links von ihm stand eine kleine Nähmaschine mit Fußpedal, mit der er nun den abgerissenen Riemen einer Sandale wieder annähte. Er machte eine doppelte Naht und befestigte sie mit einer kleinen Metallklammer. Dann legte er die Sandale in ein Fach hinter seinem Rücken. Joav Karni stand auf, nahm behutsam den Sauerstoffballon vom Boden, legte ihn zurück auf die Kiste, auf der er gesessen hatte, zögerte kurz und sagte dann: »Es brennt nicht. Du sollst nur darüber nachdenken, Martin. Wir bitten dich dringlich, unseren Vorschlag zu erwägen. Unsere Bitte, genauer gesagt. Denk daran, dass wir alle nur dein Bestes wollen. Die Archivarbeit im Sekretariat, ein paar Stunden am Morgen, ist auch Arbeit. Und, vergiss nicht, es ist das Recht der Kibbuzverwaltung, nacheigenem Ermessen ein Mitglied von einem Arbeitsplatz zu einem anderen zu versetzen.«
Beim
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