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Unter Freunden

Unter Freunden

Titel: Unter Freunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Holland, den er aus prinzipiellen Gründen verlassen hatte. Sie erlaubten Überlebenden der Shoah, für einen Teil ihrer Wiedergutmachung aus Deutschland ein eigenes privates Bankkonto zu unterhalten. Martin hingegen, ebenfalls ein Überlebender, hielt Besitz für die Mutter aller Sünden und erst recht Besitz von Blutgeld aus Deutschland.
    Er war ein dogmatischer Mann, mager, mit krausen grauen Haaren wie Eisendraht, durchdringend blickenden schwarzen Augen, dichten Augenbrauen, eingefallenen Wangen, gebeugten Schultern und einem pfeifenden Atem wegen seines Lungenemphysems. Trotz seiner Krankheit war er nicht bereit, das Rauchen aufzugeben, und so rauchte er zuweilen keuchend eine halbe Zigarette. In seiner Jugend war er Lehrer für Esperanto in Rotterdam gewesen, aber seit seiner Ankunft in Israel im Jahr 1949 hatte er keine Gelegenheit mehr, diese wunderbare Sprache zu benutzen. Er hatte im Sinn, hier, im Kibbuz Jikhat, vielleicht einen kleinen Esperanto-Arbeitskreis ins Leben zu rufen. Staaten lehnte er ab. Er glaubte an ein Zusammenleben der ganzen Menschheit im pazifistischen und brüderlichen Geiste, wenn nur erst einmal alle Grenzen zwischen den Völkern ausradiert worden wären. Als er zu uns gekommen war, hatte er darum gebeten, als Schuster ausgebildet zu werden, und seither reparierte er mit großer Professionalität unsere Schuhe und fertigte sogar selbst Sandalen für die Kinder. Bei uns nannte man ihn den Schuhprofessor.
    Im Kibbuz Jikhat galt er als ein Muster an Moral. Immer wieder rief Martin uns in den Vollversammlungen die Idee des Kibbuz in Erinnerung, die Ziele und die Ideale, die dem ganzen Projekt zugrunde lagen. Manchen erschien er jedoch wunderlich. So hatte er in all den Jahren, die er bei uns im Kibbuz lebte, sein Arbeitssoll nicht ein einziges Mal unterschritten. Wenn er aus Krankheitsgründen zwei, drei Tage hatte im Bett bleiben müssen, öffnete er die Werkstatt eben am Schabbat und erstattete der Gemeinschaft so die Tage, die er nicht gearbeitet hatte. Er war überzeugt, dass die ganze Welt bald aufwachen und vollkommen auf Geld verzichten würde. Geld war für ihn die Wurzel allen Übels, der immerwährende Grund für Kriege, Intrigen und Ausbeutung. Er war auch Vegetarier. Roni Schindlin nannte ihn den Gandhi des Kibbuz Jikhat. An Purim vor zwei Jahren hatte sich Roni als Martin van den Bergh verkleidet. Er war in ein weißes Laken gehüllt und führte eine Ziege mit sich, die ein Schild um den Hals trug. Darauf stand auf Esperanto: »Auch ich bin ein Mensch.«
    Osnat sagte: »Wenn du isst, bleibe ich noch etwas bei dir sitzen. Ich spiele dir auch zwei, drei Lieder vor.«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    »Wenn du wenigstens die Hälfte vom Rührei isst, spiele ich dir ein Lied vor, und wenn du die Hälfte vom Rührei und etwas Joghurt isst, spiele ich dir zwei Lieder, und wenn du dazu noch den Salat und das Brot isst, kannst du mir auch einen kleinen Vortrag halten.«
    »Du kannst gehen. Geh. Es gibt draußen Musik, es gibt Tanz, es gibt viele junge Männer. Geh. Geh schon.«
    Und nach einem Moment: »In Ordnung, in Ordnung. Du hast gewonnen. Ich bin einverstanden. Ich werde etwas essen. Schau: Ich esse.«
    Osnat hatte ihre Flöte mitgebracht, eine dieser einfachen Flöten, die man bei uns an die Kinder der unteren Klassen verteilte. Und während er aß, spielte sie für Martin »Am Strand des Kinneret«, und »Sie sagen, es gibt ein Land«. Martin pickte am Rührei, probierte den Joghurt, verzog sein eingefallenes Gesicht, rührte das Brot und den Salat nicht an, ließ jedoch zu, dass Osnat ihm den lauwarmen Tee reichte, den sie aus dem Speisesaal mitgebracht hatte. Aus Prinzip befanden sich in seinem Zimmer weder ein privater Wasserkessel noch private Tassen: Das Anhäufen privater Besitztümer war der Fluch der menschlichen Gemeinschaft. In der Natur von Besitztümern lag es, die Seele allmählich zu versklaven. Auch an die Institution der Familie glaubte Martin nicht, denn sie beruhte darauf, dass eine überflüssige Trennwand zwischen der familiären Zelle und der Gemeinschaft errichtet wurde. Er war davon überzeugt, dass nicht die biologischen Erzeuger, sondern das Kollektiv als Ganzes die Kinder aufziehen müsse. Hier gehörte alles uns allen, wir alle gehörten einander, und die Kinder müssten Kinder von allen sein.
    Martin van den Berghs Wohnung war mönchisch einfach möbliert: ein Bett, ein Tisch, ein großer Kasten mit einem Vorhang, in dem seine Arbeitskleidung und

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