Unter goldenen Schwingen
sich in meinen alten Sessel in der Ecke neben der Tür sinken ließ.
»Was ist denn hier geschehen?« Er deutete auf die halbverdorrte Pflanze, die auf der Kommode neben dem Sessel stand.
»Oh …« Ich senkte den Blick. »Meine Mutter hat sich immer darum gekümmert, weißt du …«
»Ich verstehe«, sagte er leise.
Ich schluckte, um die Bitterkeit zurückzudrängen, die plötzlich meinen Mund ausfüllte.
Als ich mich ins Bett kuschelte, bemerkte ich, dass Nathaniels goldener Schimmer sich ein wenig verstärkte. Oder waren es nur meine Augen, die sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten? Plötzlich umgab mich ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit.
»Dein Geschenk?«, fragte ich schläfrig.
Er nickte. »Nach allem, was du heute durchgemacht hast, sollst du nicht auch noch an den alten Schmerz erinnert werden.«
»Danke«, nuschelte ich.
»Gern geschehen«, flüsterte er. »Und übrigens, so furchtbar ist dein Klavierspiel gar nicht.«
»Schwindler.« Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, bevor ich einschlief.
Einen Augenblick später läutete mein Wecker – so erschien es mir jedenfalls. Ich blinzelte verschlafen und blickte mich um.
Ich war allein. Mit einer automatischen Handbewegung schlug ich auf den Wecker, damit er verstummte, und bedeckte meine Augen. Ich hatte kaum zwei Stunden geschlafen und fragte mich, ob ich geträumt hatte, oder ob es tatsächlich geschehen war.
»Es ist passiert«, versicherte ich mir selbst, während ich in Gedanken um jede Sekunde feilschte, die ich noch im Bett verbringen konnte.
Schließlich setzte ich mich auf und sah mein Spiegelbild an. Ich fühlte mich nicht annähernd so müde, wie ich aussah. Dann fiel mein Blick auf meine Tasche, neben der meine Bücher ausgebreitet auf dem Boden lagen.
Montagmorgen.
Schule.
Nach allem, was ich erlebt hatte, schien es mir fast unmöglich, dass etwas so Banales wie Schule in meinem Leben noch existierte.
Ich ging ins Bad und versuchte, die Spuren der kurzen Nacht so gut wie möglich zu verdecken. Dann zog ich mich an, stopfte die Bücher in meine Tasche und war schon auf dem Weg in die Küche, als mein Blick auf die halbverdorrte Pflanze auf der Kommode fiel.
Ich blieb stehen. Die meisten Blätter waren vertrocknet, doch ein paar wenige waren noch grün. Dann fiel mir auf, dass die Erde im Topf abgesunken war, und ein Teil der Wurzeln frei lag. Ich nahm den Blumentopf mit hinaus auf den Balkon. Draußen war die Luft klirrend kalt und so frisch, dass sie meine Müdigkeit mit einem Schlag vertrieb. Die Sonne ging gleißend rot über der Stadt auf und tauchte den Balkon in oranges Licht.
Ich griff nach einer eiskalten Gartenschaufel und stach in die harte Erde einer der Blumenkästen. Es dauerte einige Zeit, bis ich genug Erde gelockert hatte, um sie in den Blumentopf zu schaufeln. Mein Atem bildete vor Anstrengung kleine Wölkchen vor meinem Gesicht, während ich die Erde im Topf niederdrückte, bis alle Wurzeln bedeckt waren. Dann ging ich in die Küche, tränkte die Erde mit Wasser und stellte die Pflanze zurück an ihren Platz auf meiner Kommode.
Zurück in der Küche, setzte ich heißes Wasser auf. Die Sonne flutete den Raum mit gleißendem, orangenem Licht. Ich lehnte mich an den Küchentisch. Als Kind hatte ich stundenlang auf diesem Küchentisch gesessen und meiner Mutter beim Kochen zugesehen. Mein Blick fiel auf das Gewürzregal mit den handbeschrifteten Gläsern, auf die Schöpfer und Pfannen, die griffbereit über dem Herd hingen – alles sah noch so aus, wie sie es verlassen hatte.
Alles, bis auf den Kräutergarten am Fenster. Die Kräuter waren verdorrt und die Haushaltshilfe, die mein Vater einmal pro Woche beschäftigte, hatte sie irgendwann weggeworfen. Ich blickte nachdenklich auf den leeren Platz am Fensterbrett, auf dem noch die Abdrücke der Blumentöpfe zu sehen waren.
Mir fehlte der Duft der Pfefferminze.
Als ich kurze Zeit später den Mini Cooper auf den Schulparkplatz steuerte, zog die A-Liga wieder einmal die übliche BMW-Show ab. Ich parkte so weit wie möglich entfernt von ihnen.
Im Treppenhaus traf ich Anne, die gerade aus dem Sekretariat kam.
»Und das hier …«, sagte sie dramatisch und präsentierte die neue Jeans, die sie trug. » … hast du am Freitag verpasst! Ich wette, du bereust jetzt, dass du nicht mit zum Shopping gekommen bist.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Sieht gut aus.«
»Und du siehst fertig aus.« Anne musterte mich skeptisch. »Was ist
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