Unter goldenen Schwingen
schmunzelte. Auf dem Schulhof holten Mark und Chrissy uns ein.
»Ziemlich viel Stoff, nicht wahr?«, sagte Mark, doch er schien darüber ganz und gar nicht unglücklich zu sein. Stattdessen strahlte er Chrissy an. »Wann soll ich zum Reitstall kommen?«
»Ich werde wohl gleich hinausfahren«, sagte Chrissy nachdenklich. »Der Tierarzt war am Vormittag da, ich werde mit dem Trainer sprechen …«
»Soll ich vielleicht gleich mitkommen?«, fragte Mark. »Oder besser später? Oder …?«
Chrissy nickte vage. Sie schien kaum zu hören, was Mark sagte. Anne verdrehte die Augen, doch Chrissy bekam nichts davon mit.
»Ja, warum begleitest du Chrissy nicht gleich?« Ich bemühte mich um einen beiläufigen Tonfall. »Vielleicht kannst du ihr auch mit Julius Caesar helfen.«
Mark griff meinen Vorschlag dankbar auf. »Das würde ich gern!«
Jetzt rang sich Chrissy endlich ein zustimmendes Lächeln ab und Anne grinste zufrieden. Ich blieb auf dem Parkplatz stehen, während die anderen in Richtung Bushaltestelle gingen.
»Kommst du nicht mit?«, fragte Mark überrascht.
»Sie fährt nicht mehr mit dem Pöbel«, grinste Anne. »Sie fährt mit ihrem eigenen Auto.«
»Echt?«, fragte Chrissy. »Cool.«
»Wie war das?«
Wir drehten uns um – hinter uns standen Ariana und der Rest der A-Liga, wie immer gerade dabei, das Einsteigen in die Autos ihrer Freunde zu zelebrieren. Um die schicken BMW hatten sich wie üblich gaffende Schüler versammelt.
»Welche Rostschüssel ist es denn?« Arianas Lachen schallte über den Parkplatz.
Ich erwiderte nichts. Schweigend, mit einem Lächeln im Gesicht, drückte ich auf meinen Autoschlüssel – und die Schüler, die bewundernd um die BMW standen, reckten die Köpfe.
Der rote Mini Cooper entriegelte mit aufblinkenden Scheinwerfern die Türen. Mit seinem schwarz-weißen Dach und den karierten Seitenspiegeln war er ohne jeden Zweifel das coolste Auto auf dem Parkplatz.
»Und das Beste daran ist«, sagte Anne gedehnt, während wir an der A-Liga vorbeischlenderten, »Victoria konnte ihre Hose dafür anbehalten.«
Die anderen Schüler kicherten, als Ariana und die beiden Mädchen beleidigt einstiegen und die Wagentüren zuschlugen.
»Das war’s«, sagte Anne ernüchtert. »Ich erkläre den Mathe-Marathon offiziell für eröffnet.« Sie warf einen Blick nach oben. »Wenigstens ist das Wetter schlecht.«
Ich blickte ebenfalls nach oben. Dunkle Wolken zogen auf und es sah wieder nach Regen aus.
Während die anderen zur Bushaltestelle gingen, schloss ich meinen MP3-Player ans Autoradio an, setzte mich hinters Steuer und warf meine Tasche auf den Beifahrersitz. Ich konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen, und endlich Nathaniel zu sehen.
Ich stellte den Wagen vor dem Haus ab und war drauf und dran, zum Haus zu laufen, als mein Blick auf einen schmalen Weg fiel, der von Hecken gesäumt nach links abzweigte. Ich blieb stehen und starrte den Weg hinunter.
Am Ende dieses Wegs stand ein alter Magnolienbaum mit einer weiß gestrichenen Bank darunter, und neben dem Baum gab es eine kleine Sandkiste mit einer Wippe. Ich war seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Einem plötzlichen Impuls folgend, ging ich den schmalen Weg entlang, bis ich vor dem alten Baum stand. Die Farbe blätterte von der weißen Bank, die Wippe rostete vor sich hin und in der Sandkiste wuchs Unkraut. Es war der Lieblingsplatz meiner Mutter gewesen, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Ich sah mich rasch um, um sicherzugehen, dass ich allein war.
»Nathaniel?«, flüsterte ich. Mein Herz schlug aufgeregt. »Bitte … ?«
Einen Augenblick lang geschah gar nichts.
»Keine Sorge«, flüsterte er plötzlich zurück in einer Imitation meines vorsichtigen Tonfalls. »Es kann mich ohnehin niemand sehen.«
Ich wirbelte herum. Er stand ein paar Schritte entfernt von mir, ein schiefes Lächeln im Gesicht.
»Sehr witzig«, murmelte ich. »Ich kann noch immer nicht glauben, dass anderen Menschen diese …«, ich suchte nach dem passenden Ausdruck, während ich seine goldene Gestalt und die riesigen Flügel betrachtete, » … Erscheinung nicht auffällt.«
»Nicht gerade dezent, oder?« Er deutete mit einem kleinen Wink auf seine mächtigen Schwingen. »Bis vor kurzem konntest du mich auch nicht sehen.«
»Ich weiß«, stöhnte ich. »Das ist noch schwerer für mich zu glauben. Wie blind war ich eigentlich?«
»Sei nicht so hart zu dir. Immerhin hast du mich gesehen, als ich dich aus dem Wrack gezogen habe.« Er
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