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Unter goldenen Schwingen

Unter goldenen Schwingen

Titel: Unter goldenen Schwingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Luca
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Dieses Bild hatte sie besonders geliebt. Es zeigte eine dunkelhaarige Frau, die ein prachtvolles, goldenes Kleid trug. Das Licht brach sich in den unterschiedlichen Goldtönen und erweckte den Eindruck, als würde das Bild strahlen.
    »Du bist jetzt achtzehn, es ist Zeit, dass du ein Auto hast.«
    »Ich habe ein Auto.«
    »Du hast ein …? Ach, du meinst … aber du fährst den Wagen doch nicht. Es ist besser, wenn du deinen Eigenen hast. Ich werde den Alten verkaufen …«
    »Nein!« Ich brauchte einen Moment, um mich zu fassen. »Ich behalte Mamas Auto! Ich werde es fahren, ich wollte nur noch nicht … ich meine, ich habe es noch nicht gebraucht – jedenfalls gebe ich es nicht her …«
    »Schon gut«, erwiderte Ludwig beschwichtigend. »Wir müssen das nicht sofort entscheiden. Sieh dir doch mal dein neues Auto an. Es ist ein hellblauer VW, steht unten auf dem Parkplatz, zwei Autos hinter dem Wagen deiner Mu…, hinter dem Mini Cooper. Die Papiere sind im Handschuhfach.«
    »Ich … ich sehe ihn mir an.«
    »Du solltest noch ein paar Fahrstunden nehmen, deine Führerscheinprüfung ist ja schon eine Weile her. Ich werde Rita bitten, die Fahrschule anzurufen …«
    »Nicht nötig, ich kümmere mich schon darum.“«
    »Aber such dir einen schöneren Tag als heute aus, bei Unwetter fahren die Leute immer wie die Irren.« Im Hintergrund läuteten Telefone. »In der Firma machen sich alle verrückt wegen des Vertragsabschlusses. Ich muss morgen wieder nach Hong Kong fliegen.«
    »Mh.« Was änderte es, ob er in Hong Kong schlief, oder bei einer seiner Affären? Er war nicht da und ein Kontinent mehr oder weniger zwischen uns machte keinen Unterschied.
    »Tut mir leid, dass ich heute nicht da sein kann, Vicky. Wir holen das nach, in Ordnung? Wir gehen essen, oder … «
    Es würde wahrscheinlich nie passieren.
    »In Ordnung«, sagte ich. »Kein Problem.«
    »Was hast du denn heute noch Schönes vor? Feierst du mit deinen Freunden?«
    »Ja«, sagte ich leise. »Sie geben eine Party für mich.«
    »Großartig! Erzähl ihnen von deinem neuen Auto, sie werden dich alle beneiden.«
    Ich schluckte und presste die Lippen zusammen. »Ich muss jetzt Schluss machen, ich komme zu spät«, murmelte ich. »Sie warten schon auf mich.«
    »Genieß die Torte, und viel Spaß bei der Party!«
    »Ludwig?«
    »Ja?«
    Ich zwang mich zu dem nächsten Wort. »Danke.«
    Im Hintergrund hörte ich Ritas Stimme, und dann Ludwigs, als er ihr antwortete.
    »Schon gut«, sagte er abgelenkt zu mir. »Bei uns ist gerade die Hölle los. Mach’s gut, Vicky.«
    »Ja …«
    Klick.
    Ich starrte das strahlende Gemälde der Adele an und drehte gedankenverloren den Autoschlüssel in meinen Händen. Und plötzlich fiel mir auf, was fehlte.
    Es gab keine Blumen.
    Ich ließ meinen Blick über den Wohnzimmertisch schweifen, die Anrichte, bis hinüber ins Esszimmer – es waren überhaupt keine Blumen da. Meine Mutter hatte Blumen geliebt. Sie hatte stets dafür gesorgt, dass auf dem Wohnzimmertisch ein blühender Stock gestanden hatte, einer auf der Anrichte neben dem Bücherregal, und auf dem Esszimmertisch eine Vase mit einem liebevoll arrangierten Strauß.
    Jetzt gab es nichts Lebendiges mehr in dieser Wohnung. Das einzige Geräusch kam von der Wanduhr, und das monotone Ticken erdrückte mich. Ich ertrug die Stille nicht, denn mit ihr kamen die Erinnerungen. Sie überschwemmten mich, wie ein Sumpf, der immer höher und höher stieg, bis ich das Gefühl hatte, darin zu ertrinken. Wagner hatte Recht. Die Einsamkeit machte es noch schlimmer. Ich ertrug die Gesellschaft anderer kaum noch, aber genauso wenig ertrug ich es, allein zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass ich überhaupt nichts mehr ertrug, denn egal, was ich tat, etwas zog mich in die Tiefe, wie ein Strudel, dem ich nicht entkommen konnte.
    Wie so oft, versuchte ich auch jetzt, mein Herz zu verschließen. Ich versuchte, die schrecklichen Gedanken aus meinem Kopf zu zwingen. Ich versuchte, mir einzureden, wie viel Glück ich doch hatte. Ich hatte ein Auto bekommen, und Freunde, die eine Party für mich schmeißen wollten, wenn ich es nur zuließ. Warum fühlte ich mich dann so elend?
    Nüchtern griff ich nach meinem Handy und suchte Annes Nummer im Kurzwahlspeicher. Vielleicht konnten wir uns schon eher treffen. Das war besser als hier herumzusitzen, gefangen in Erinnerungen.
    Mein Blick fiel auf die Torte, und plötzlich schossen Bilder durch meinen Kopf. Ich war wieder siebzehn, die Glasur war eine

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