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Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Titel: Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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baumbestandenen Friedhof des Klosters St. Ignatius in Brooklyn warteten die Menschen, von denen Frank und Michael Page angenommen hatten, dass Nick sie selbst auch eingeladen hätte, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Francis Dulong und seine Gattin waren unter den rund 80 Trauergästen, Trevor und Madeleine Downey, Michael Campione und seine Frau Sally und die besten Freunde von Christopher Kostidis. Das ganze Gelände des Klosters war weiträumig von mehreren Hundertschaften der Polizei abgeriegelt worden. Niemand, der keinen Passierschein hatte, wurde auch nur in die Nähe des Friedhofs gelassen. Hinter den Absperrungen drängten sich unzählige Reporter, Kamerateams, aber auch Bürger der Stadt, die ihrem Bürgermeister in der schwersten Stunde seines Lebens nahe sein wollten. Nick Kostidis hatte für all das keinen Blick. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt, als er zwischen seinen Schwiegereltern, seiner Schwägerin und deren Mann die gewundenen Wege des Friedhofs entlangging, er blickte starr geradeaus und setzte sich an dem offenen Grab, in dem die beiden Urnen standen, in die vorderste Reihe der aufgestellten Stühle. Die gewaltige Menge an Kränzen und Blumengebinden, die abgegeben und von Sprengstoffexperten des FBI und der Polizei sorgfältig untersucht worden waren, türmte sich rings um das offene Grab. Die Trauergäste nahmen ebenfalls Platz. Niemand von ihnen sprach ein Wort. Hatte sie schon der grausame Tod Marys und Christophers tief schockiert, so löste der Anblick von Nick Kostidis fassungslose Betroffenheit aus. Sie waren gekommen, weil sie ihm beistehen, ihm ihr Mitgefühl und ihre tiefe Trauer ausdrücken wollten, aber er gab ihnen dazu keine Gelegenheit. Sehr blass und ohne die geringste Gefühlsregung saß er stocksteif auf seinem Stuhl, ohne seinen Blick auch nur ein einziges Mal von dem Grab abzuwenden. Als Pater Kevin wenig später mit vier Ministranten an das Grab trat, erhoben sich alle Anwesenden bis auf Nick, als habe er das Erscheinen des Priesters nicht wahrgenommen.
    »Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr«, begann der Pater mit leiser Stimme, die dennoch bis in die letzte Reihe trug, »höre,
    Herr, auf meine Stimme! Mögen deine Ohren lauschen auf mein lautes Flehen! Wolltest du auf meine Sünden achten, Herr, wer könnte dann bestehen? Ja, Vergebung ist bei dir, auf dass man dir in Ehrfurcht diene. Ich hoffe auf den Herrn, es hofft meine Seele; ich harre auf sein Wort. Meine Seele harrt auf den Herrn, mehr als die Wächter auf den Morgen.«
    Der Jesuitenpater besprengte die Urnen mit Weihwasser. Die Worte, die er nun sprach, waren schlicht, aber voller Mitgefühl, und nur wenige der Anwesenden konnten die Tränen unterdrücken.
    »Herr, gib’ ihnen die ewige Ruhe ...«
    »... und das ewige Licht leuchte ihnen.«
    Marys Mutter schluchzte und schnäuzte sich lautstark. Pater Kevin sprach die ersten Worte des Vater Unser laut, dann betete er stumm weiter, besprengte wieder die Urnen mit Weihwasser und schwenkte anschließend das Weihrauchfässchen über ihnen.
    »... und führe uns nicht in Versuchung«, sagte er, »sondern erlöse uns von dem Bösen. Vor den Pforten der Hölle, rette, o Herr, ihre Seelen! Lass sie ruhen in Frieden ...«
    »Amen«, erwiderte die Trauergemeinde. Die Totenglocke der nahen Klosterkirche läutete. Manche der Anwesenden schluchzten leise, aber Nick saß noch immer bewegungslos mit erstarrter Miene da. Fast schien es, als sei er gar nicht richtig anwesend.
    »Ich bin die Auferstehung und das Leben«, sagte Pater Kevin, »wer an mich glaubt, wird den Tod nicht schauen in Ewigkeit.«
    Schließlich nahm der Jesuitenpater Erde aus der Schale, die neben dem Grab stand und warf dreimal eine Handvoll Erde in das Grab.
    »Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück. Der Herr aber wird euch auferwecken am Jüngsten Tag.«
    Weil sie darum gebeten worden waren, verzichteten die Trauergäste darauf, Nick zu kondolieren, nachdem sie den Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen hatten. Schweigend entfernten sie sich, bis er alleine in der ersten Stuhlreihe zurückblieb. Trotz der drückenden Hitze schien er in seinem schwarzen Anzug nicht zu schwitzen und er hatte sich nicht ein einziges Mal bewegt, seitdem er sich eine Stunde zuvor hingesetzt hatte. Frank betrachtete seinen Chef mit einem zweifelnden Blick. Hatte er überhauptbemerkt, dass die Beerdigung vorüber war? Die Totengräber kamen und begannen, Erde auf das Grab zu schaufeln und die Blumen und

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