Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Computerausdrucke, die sie am Nachmittag aus dem Bankschließfach geholt hatte, aus der Innentasche ihrer Lederjacke und reichte sie ihm. Nick starrte auf die Blätter und zögerte, aber dann setzte erseine Lesebrille auf, faltete die Papiere auseinander und begann mit ausdrucksloser Miene zu lesen.
»Nicht zu fassen«, murmelte er nach einer Weile, »McIntyre ... und hier, Alan Milkwood vom Tiefbauamt und Jerome Harding, diese bestechlichen Mistkerle.«
»Hat schon einmal jemand versucht, Sie zu bestechen?«
»Mehr als einmal«, Nick blickte auf, »immer wieder. Und nicht einfach nur mit Geld. Sie haben mir Handel angeboten: einen Kindergarten im Gegenzug für eine Baugenehmigung, eine Spende an die Witwen-und Waisenkasse der Polizei gegen eine fallengelassene Strafanzeige. So läuft das hier in New York City.«
Er seufzte.
»Ich habe immer widerstanden. Aber es ist sehr schwer, denn manchmal ist die Versuchung groß. Die Stadt hat kein Geld, um neue Schulen und Kindergärten zu bauen, und wen stört es schon, wenn ein Wolkenkratzer drei Stockwerke höher ist als ursprünglich genehmigt, wenn dafür Hunderte von Kindern in Harlem oder in der Bronx einen topmodernen Kindergarten bekämen? Ich habe mir oft selbst im Weg gestanden.«
»Kann man mit diesen Kontoauszügen etwas anfangen?«, wollte Alex wissen.
»Wenn sie echt sind auf jeden Fall«, Nick lächelte grimmig und blätterte weiter. »Ich hätte gejubelt, hätte ich so etwas während meiner Zeit als Staatsanwalt in die Finger bekommen. Das ist weit mehr als nur die Spitze des Eisbergs – das hier ist der ganze Sumpf auf einen Schlag.«
»Warum geben Sie es nicht an die Staatsanwaltschaft weiter?«
»Alex!« Er ließ die Papiere sinken und sah sie eindringlich an. »Dies hier ist pures Dynamit! Das sind nicht nur ein paar Schlagzeilen in der Zeitung. Diese Namen und Zahlen bringen das Machtgefüge der ganzen Stadt ins Wanken, und diese Leute werden es nicht einfach hinnehmen, dass man sie der Bestechlichkeit beschuldigt. Es wird lange Prozesse geben, Verleumdungsklagen und Beschuldigungen, vielleicht sogar Tote. Ich habe das alles schon öfter durchexerziert: in den siebziger und achtziger Jahren mit der Mafia, später mit den Wall Street-Leuten.«
Er starrte auf seinen Teller, schob das Essen mit der Gabel hin und her und blickte wieder auf.
»Glauben Sie mir, ich weiß, wie es funktioniert, wie viel Arbeit dahintersteckt und wie oft sie sich doch noch mit Hilfe ihrer cleveren Anwälte hinauswinden können.«
»Aber ein Staatsanwalt, ein Richter oder auch ein Gouverneur sind aber doch erledigt, wenn bekannt wird, dass sie korrupt sind und Steuern hinterzogen haben, oder?«
»Ja, das stimmt«, gab Nick zu, »aber wissen Sie, wozu machtbesessene Menschen fähig sind, wenn sie merken, dass sie in die Enge getrieben werden?«
Der Kellner kam mit den Hauptgerichten und Nick verstummte. Sie warteten, bis das Essen vor ihnen auf dem Tisch stand.
»Mir geht es auch gar nicht um all diese Leute«, Alex senkte ihre Stimme, »mir geht es um Vitali.«
»Persönliche Rache aus verletzter Eitelkeit?«
»Nein! Dieser Mann lässt Leute umbringen, die ihm im Weg sind! Ich weiß es! Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie ihm jemand mitgeteilt hat, dass David Zuckerman nicht mehr aussagen wird!«
Nick sah sie nachdenklich an, dann legte er sein Besteck hin.
»Okay«, sagte er mit sachlicher Stimme, »lassen Sie mich erklären, wie es ablaufen würde. Ich übergebe der Staatsanwaltschaft oder dem FBI das Material. Man wird Nachforschungen anstellen und womöglich feststellen, dass es stimmen könnte. Vitali wird verhaftet, aber durch seine Beziehungen wird er höchstwahrscheinlich auf Kaution freigelassen. Falls es zu einer Anklage kommen sollte, werden Sie Hauptbelastungszeugin sein, Alex.«
Alex schluckte nervös.
»Wir haben schon oft geglaubt, genug gegen Vitali in der Hand zu haben, aber immer ließen uns unsere Zeugen im Stich. Einige verloren nur über Nacht ihr Gedächtnis, andere verschwanden spurlos. Manchmal wurden sie gefunden, auf der Müllkippe oder im Fluss. Vitali ist gnadenlos. Möchten Sie für den Rest Ihres Lebens mit einer falschen Identität in einem kleinen Kaff im Mittelwesten leben, ständig mit der Angst, man könnte Sie doch eines Tages entdecken?«
Er schüttelte den Kopf.
»Früher hätte ich alles darangesetzt, um Vitali dranzukriegen. Aber heute zweifele ich, ob etwas richtig ist, was einen Menschen das Leben kosten kann.«
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