Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
sehr dunklen Braun waren. Er hatte schöne, ausdrucksvolle Augen, voller Wärme und einem Hauch von Melancholie.
»Ich glaube, dass es im Leben eines jeden Menschen eine bestimmte Zeitspanne gibt, in der sein Charakter für immer festgelegt wird«, sagte er nachdenklich. »Bei mir war es die Zeit, als sich mir durch die Jesuitenpatres die Welt des Glaubens und der Bildung erschloss. Gut und Böse, Schwarz und Weiß – das war 40 Jahre lang der Blickwinkel, aus dem ich das Leben gesehen habe. Aber jetzt muss ich feststellen, dass das nicht ganz richtig ist. Es gibt noch andere Farben.«
Der Kellner servierte überbackenen Schafskäse mit Tomaten, Gurken und höllisch scharfen Peperoni. Sie stießen mit einem Glas Wein an und aßen schweigend die Vorspeise.
»Geht es Ihnen gut, Nick?«, fragte Alex, als sie aufgegessen hatte. Ein Schatten flog über sein Gesicht und er wartete, bis der Kellner die Teller abgeräumt hatte.
»Nein«, erwiderte er und seufzte, »mir geht es schlecht. Tagsüber stürze ich mich in die Arbeit und manchmal gelingt es mir für kurze Zeit, nicht an Mary und Chris zu denken. Aber wenn ich abends in dieses Haus komme, dann ist es, als ob sich ein Abgrund vor mir auftut. Mary war immer da, 30 Jahre lang.«
Sein Blick war leer und hohläugig und Alex ahnte, dass irgendwo, tief in seinem Innern, etwas arbeitete, ein wilder Schrei, der aus ihm herauswollte, so, wie neulich auf dem Friedhof, als er seinem Schmerz und seiner Verzweiflung endlich hatte Luft machen können.
»Oft denke ich, dass ich sie nach ihrer Meinung zu diesem oder jenem fragen will, und dann fällt mir ein, dass sie ja nicht mehr da ist. Das ist furchtbar.«
Alex sah ihn voller Mitgefühl an. Am liebsten hätte sie seine Hand ergriffen, ihm etwas Tröstliches gesagt, aber sie konnte es nicht tun, nicht hier, nicht in aller Öffentlichkeit, vor den Augen der Leibwächter am Nachbartisch.
»Die Leute benehmen sich so, als hätten sie Angst vor mir.« Er schüttelte in hilfloser Verzweiflung den Kopf. »Die meisten Menschen, die ich für meine Freunde gehalten habe, haben sich distanziert. Niemand traut sich, mit mir über Mary zu sprechen, und deshalb laden sie mich nicht mehr ein. Vielleicht befürchten sie, ich könnte am Tisch in Tränen ausbrechen, und das wäre ihnen peinlich.«
»Das sind dann keine wirklichen Freunde«, erwiderte Alex. »Mir wäre es nicht peinlich, wenn Sie hier und jetzt weinen würden.«
Nick sah sie an und für einen Moment glaubte sie, er würde tatsächlich weinen.
»Ich weiß«, seine Stimme klang belegt, »und ob Sie es glauben oder nicht, das ist mir ein großer Trost. Es ist eigenartig, wowir uns doch eigentlich kaum kennen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich bei Ihnen nicht schauspielern muss.«
Er trank einen Schluck Wein. Sie schwiegen einen Moment, aber es war kein unbehagliches Schweigen.
»Haben Sie wirklich vor, von Ihrem Amt zurückzutreten?«, fragte Alex.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er, »alles was ich tue, scheint mir keinen Sinn mehr zu haben, aber auf der anderen Seite habe ich einen Auftrag von meinen Wählern bekommen, einen großen, wichtigen Auftrag. Ich habe ihnen etwas versprochen und sie vertrauen mir. Wie kann ich da alles hinschmeißen?«
Er lächelte schwach.
»Ich habe Ihnen die Kontoauszüge mitgebracht«, sagte Alex unvermittelt. »Ich dachte, das wäre der eigentliche Grund, weshalb Sie sich mit mir treffen wollten.«
Das Lächeln erlosch auf Nicks Gesicht.
»Sie misstrauen mir noch immer«, stellte er fest, »und ich kann es Ihnen nicht verdenken. Ich gebe zu, dass ich tatsächlich versucht habe, durch Sie etwas über Vitali zu erfahren, damals, an Weihnachten bei den Downeys. Aber dann ...«
Er brach ab und Alex’ Herz begann wieder heftig zu klopfen, als sie seinen Blick spürte, so forschend und intensiv wie damals im Lands End House.
»... dann habe ich erfahren, dass Sie mit den Downeys befreundet sind, und ich dachte, diese Frau kann nicht ernsthaft auf Vitalis Seite sein, wenn sie gleichzeitig ihre Wochenenden mit Trevor und Maddy verbringt. Als ich Sie in dem Salon fand, bemerkte ich Ihre Abwehr und Ihr Unbehagen.«
»Sie haben mich verunsichert.«
»Wahrscheinlich waren Sie deshalb so zornig auf mich«, er lächelte, »denn das waren Sie, stimmt’s?«
»Ich wollte die Wahrheit lange nicht sehen und Sie haben mich dazu gezwungen«, gab Alex zu. »Deswegen war ich wütend.«
Sie drehte sich um, zog die zusammengerollten
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