Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
Alex fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
»Was würden Sie an meiner Stelle tun, Nick?«, flüsterte sie. »Ich kann nicht einfach so weitermachen. Ich habe Angst vor ihm, und doch will ich, dass man ihn für all das, was er angerichtet hat, zur Rechenschaft zieht.«
Nick starrte sie an.
»Sie haben Courage. Das bewundere ich an Ihnen.«
»Habe ich das?«
»Ja. Sie sind mutig. Und Sie sind intelligent.«
»Nein, das bin ich nicht. Sonst wäre ich nicht auf Vitali hereingefallen.«
»Auf ihn wären andere Frauen genauso hereingefallen«, sagte Nick. »Er sieht gut aus, er ist charmant und sagenhaft reich. Er weiß, wie man Menschen beeindruckt.«
»Oh ja«, sie lachte bitter, »das weiß er zweifellos. Einmal hat er das ganze Windows on the world für einen Abend gemietet. Samt Personal und Band.«
»Haben Sie ihn geliebt?«
Alex zögerte, erstaunt über diese sehr persönliche Frage.
»Nein«, sagte sie langsam, »das war keine Liebe. Ich war beeindruckt und fühlte mich geschmeichelt, dass ein so mächtiger, bekannter Mann ausgerechnet mir den Hof machte. Ich hatte den Ehrgeiz, zu den Mächtigen und Berühmten dieser Stadt zu gehören, und dachte, ich könnte durch ihn an mein Ziel gelangen. Wie konnte ich ahnen, dass ich nur ein Teil seiner schmutzigen Geschäfte war?«
»Haben Sie noch Kontakt mit ihm?«
»Sie meinen, ob ich noch mit ihm schlafe?«
»Nein«, Nick errötete leicht, »das ... das wollte ich nicht wissen.«
»Er hat mich gebeten, ihn zu heiraten, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe«, Alex’ Gesicht wurde hart, »wahrscheinlich, weil er befürchtet, dass er sonst keine lukrativen Geschäfte mehr machen kann. Ich bin aus der Wohnung ausgezogen, dieer mir damals vermietet hat. Ein Freund hat auf seinen Namen eine Wohnung für mich gemietet und und seitdem lebe ich in der Angst, dass Vitali herausfindet, wo ich jetzt wohne. Ich steige in der U-Bahn dreimal um und schleiche über den Hinterhof hinein und hinaus. Er weiß, dass ich bei Ihnen auf dem Friedhof war. Der Mann, der auf Sie geschossen hat, hat mich erkannt.«
»Um Gottes willen, Alex!« Nick blickte sie erschrocken an. »Hat er Ihnen das gesagt?«
»Seine Frau war bei mir, um mich zu warnen«, erwiderte sie. »Sie hat ihn verlassen, weil sie davon überzeugt ist, dass Vitali den Auftrag gegeben hat, seinen eigenen Sohn zu töten.«
»Vitalis Frau war bei Ihnen?«, fragte Nick ungläubig.
»Ja. Sie hasst ihn und sie will sich an ihm rächen. Und sie möchte gerne mit Ihnen sprechen, Nick.«
»Sie sind in großer Gefahr, Alex.«
»Ich weiß. Aber solange er mich für seine Geschäfte braucht, wird er mir nichts tun. Wenn er mich allerdings nicht mehr braucht ...«, sie verstummte.
»Ich kann Ihnen Personenschutz besorgen«, bot Nick an. »Wo wohnen Sie jetzt?«
»In der Reade Street. Gleich um die Ecke.« Alex aß ein Stück von dem inzwischen fast kalten Fleischspieß, obwohl ihr Magen wie zugeschnürt war. »Personenschutz nützt mir nicht viel, immerhin arbeite ich in einer Firma, die offenbar zu einem großen Teil ihm gehört.«
Als der Kellner kam, um die Teller abzuräumen, hatte Nick kaum etwas gegessen. Er spielte gedankenverloren mit einem Stück Brot.
»Wissen Sie, warum ich diese Informationen nicht weitergeben will?«, fragte er mit rauer Stimme. Alex sah ihn überrascht an und schüttelte den Kopf.
»Ich habe Angst, dass Vitali Ihnen etwas antun wird.«
Das Restaurant hatte sich gefüllt, als sie es um halb elf verließen. Die vier Sicherheitsbeamten warteten vorne an der Straßenecke.
»Soll ich Sie nicht lieber nach Hause fahren lassen?«, fragte Nick und Alex erkannte echte Besorgnis in seinen Augen.
»Nein, es ist schon okay. Es sind nur zehn Minuten zu Fuß den Broadway hinunter.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja. Es ist besser, wenn ich meine Geheimwege benutze.«
»Ich mache mir Sorgen um Sie, Alex.«
»Ich schätze, ich sitze ganz schön tief in der Patsche, oder?«
Nick sah sie ernst an.
»Das befürchte ich auch.«
Sie bohrte die Hände in ihre Jackentaschen. Es war nicht kalt, dennoch fröstelte sie.
»Würden Sie die Informationen gegen Vitali an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, wenn ich meinen Job kündige und die Stadt verlasse?«
»Haben Sie das vor?«
»Es bleibt mir ja kaum noch etwas anderes übrig«, Alex spürte, wie sich die Tränen in ihrer Kehle zu einem schmerzhaften Kloß zusammenballten. Selten war ihr die Aussichtslosigkeit ihrer Lage so deutlich
Weitere Kostenlose Bücher