Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
du jemandem, den du kaum kennst, leichtfertig Vertrauen schenkst.«
»Ich war noch nie leichtfertig!«, entgegnete Sergio heftig.
»Das weiß ich. Deshalb bin ich jetzt umso erstaunter darüber, was du da gerade gesagt hast«, Nelson betrachtete den Freund aufmerksam. Üblicherweise gelang es Sergio sehr gut, jedes Gefühl hinter einer unergründlichen Miene zu verbergen, aber in diesem Moment konnte er in seinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Sergio war es gefährlich ernst mit der Frau.
»Ich habe mir in den letzten Wochen überlegt«, sagte Sergio nach kurzem Zögern, »dass Alex Shanahans Part übernehmen könnte. Sie macht einen Spitzenjob bei LMI, sie ist clever und kaltblütig …«
»Um Gottes willen, Sergio!« unterbrach Nelson ihn. »Bedenke doch, was du da sagst!«
»Wieso?«
»Sergio«, Nelson beugte sich vor und seine Stimme klang eindringlich, »du weißt selbst, wie riskant diese Sache ist. Denk doch bitte mal nach! Wie gut kennst du Alex? Wie sehr kannst du ihr vertrauen? Was wirst du tun, wenn sie plötzlich Skrupel bekommt? Eine solche Fehleinschätzung wie mit Shanahan können wir uns kein zweites Mal leisten!«
Sergio schwieg einen Moment. Er wusste auch, dass Vincents Fehler mit Shanahan ihn sehr viel Geld und eine Menge Anstrengungen gekostet hatte, alles unter den Teppich zu kehren.
»Solange ich dich kenne«, Nelson legte seine Hand auf den Arm des Freundes, »hast du dich nicht von persönlichen Gefühlen leiten lassen, und du bist damit immer recht gut gefahren.Gut, du bumst die Kleine, sie gefällt dir. Sicherlich ist sie hübsch und clever, aber gerade das ist gefährlich. Vor cleveren Frauen muss man sich in Acht nehmen.«
Sergio verzog das Gesicht. Das war nicht das, was er hatte hören wollen.
»Du magst Alex nicht, stimmt’s?«, fragte er.
»Es spielt überhaupt keine Rolle, ob ich sie mag oder nicht«, erwiderte Nelson, »Frauen gehören nicht in unser Geschäft. Sie sind zu unberechenbar. Und Alex halte ich für ganz besonders unberechenbar. Vielleicht wäre es anders, wenn du nichts mit ihr hättest, aber diese Konstellation finde ich, gelinde gesagt, zu gefährlich für dich und uns alle.«
Sergio starrte seinen Freund an.
»Ich werde sie auf jeden Fall gründlich überprüfen«, sagte Nelson nun.
»Wozu?«, fragte Sergio gereizt. »Ich habe nicht vor, ihr von heute auf morgen die Geschäftsführung meiner Firma zu übertragen oder sie als meine Alleinerbin einzusetzen.«
Nelson hob die Augenbrauen.
»Du hast mich um einen Rat gebeten«, sagte er kühl, »und den gebe ich dir: Halte sie strikt von deinen Geschäften fern. Es reicht völlig, wenn sie ihren Job gut macht und Zack den Rest erledigt.«
Sergio schwieg. Hinter seiner unbewegten Miene trugen Gefühl und Verstand einen heftigen Kampf miteinander aus.
»Außerdem«, fuhr Nelson fort, »rate ich dir, Privatleben und Geschäft auseinanderzuhalten.«
Sergio starrte stumm vor sich hin. Es war ganz still bis auf das Zirpen der Zikaden im Hibiskus unterhalb der Terrasse. Nelson wagte kaum zu atmen. Endlich stieß Sergio einen deprimierten Seufzer aus.
»Du hast wohl Recht«, sagte er schließlich widerstrebend, und Nelson hatte das Gefühl, nur ganz knapp eine Katastrophe verhindert zu haben. Seine Reise hierher war jede Strapaze wert gewesen.
»Mach nicht so ein Gesicht«, er warf unauffällig einen Blick auf seine Uhr und überlegte, ob er noch nach Tertola zurückfliegen konnte, bevor Alex wieder auftauchen und ihn mit einemfalschen Lächeln einladen konnte, noch einen Abend zu bleiben, »mach dir noch ein paar schöne Tage mit ihr. Aber lass dich nicht von ihr um den Finger wickeln. Ein bisschen Distanz kann nicht schaden.«
Sergio nickte langsam.
»Danke für deinen Rat, Nelson«, sagte er dann entschlossen, »wahrscheinlich werde ich einfach alt und sentimental.«
»Unsinn. Alex ist ein hübsches Ding. Behalt sie dir für’s Bett, wenn es dir gefällt, aber für mehr nicht«, Nelson wuchtete seine Körperfülle aus dem Rattansessel. »Ich lasse euch jetzt allein. Ich habe noch einen Termin auf Tertola bei Chester Milford wegen der Gründungsverträge der neuen IBCs. Wir sehen uns in ein paar Tagen in der Stadt.«
***
Als Nelson gegangen war, schenkte Sergio sich an der Bar einen Whisky ein und starrte hinaus auf die smaragdgrüne See. Er hatte einen ganz anderen Rat von seinem Freund erhofft. Womöglich hatte Nelson Recht. Aber vielleicht auch nicht. Sergio hatte den Freund noch nie um
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