Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
bis an das Ende meines Lebens mit der Schuld leben müssen, dass Mary und Chris wegen der Fehler, die ich gemacht habe, sterben mussten.«
Er schwieg für einen Moment.
»Alex kam damals zu mir, in einer Zeit, in der ich vor Verzweiflung an Selbstmord gedacht habe. Sie kam und hörte mirzu, als es niemand tat. Sie hatte keine Angst mit mir zu reden. Alles, was ich von unseren angeblichen Freunden zu hören bekam, waren leere Floskeln. Alle schienen plötzlich Angst vor mir zu haben. Nur diese Frau, die ich eigentlich gar nicht richtig kannte, sie kam zu mir und hat mir geholfen, zu überleben. Ich stehe tief in Alex’ Schuld, denn sie hat mir zweimal das Leben gerettet.«
»Das Leben gerettet?« Dr. Summers sah ihn überrascht an.
»Ja. Alex war auf dem Friedhof, als jemand auf mich schoss. Sie warnte mich rechtzeitig, sonst wäre die Kugel nicht in einem Grabstein, sondern in meinem Kopf steckengeblieben«, Nick blickte für einen Augenblick ins Leere, »sie ist sehr mutig.«
»Ich verstehe«, sagte die Ärztin leise.
»Tust du das?« Nick blickte auf und Dr. Summers erkannte die Qual in seinen Augen. Die Ärztin ergriff seine Hand. Sie verstand tatsächlich, was Nick quälte, aber nun verstand sie auch sein erstaunlich verändertes Verhalten. Nie zuvor hatte sie ihn so menschlich erlebt. Er sorgte sich wirklich und ehrlich um diese Frau, ohne eine große Schau abzuziehen, wie er es sonst immer getan hatte. Und diese Offenbarung, dass Nicholas Kostidis echte Gefühle besaß und auch ohne Kalkül und Berechnung handeln konnte, machte ihn in den Augen der Ärztin plötzlich liebenswert.
»Mary war eine Freundin von mir«, sagte sie leise, »ich habe sie sehr gemocht. Aber sie ist tot, und du musst weiterleben. Niemand verlangt von dir, ewig zu trauern und einsam zu sein.«
Nick starrte sie an, dann verzog er das Gesicht, als wolle er in Tränen ausbrechen.
»Danke, Ginnie«, sagte er mit belegter Stimme und drückte noch einmal ihre Hand, bevor er sich erhob, »danke für deine Hilfe.«
»Schon okay«, erwiderte sie mit einem Lächeln und stand ebenfalls auf, »und jetzt ruh dich etwas aus. Es nützt niemandem, wenn du zusammenbrichst.«
»Okay«, Nick versuchte ein Lächeln. Er wartete, bis sie hinter der Milchglastür verschwunden war, dann wandte er sich zum Fenster und lehnte seine Stirn an die kalte Scheibe. Selbstgerecht und rücksichtslos. Ein Egoist. Ja, das war er gewesen. Erhatte geglaubt, nichts und niemand könne ihm etwas anhaben. Voller Überzeugung von der Richtigkeit seines Tuns, hatte er nie an das gedacht, was er den Menschen antat, die er anklagte und verfolgte. Er war zu sehr in seinen Erfolg und sein Ansehen verliebt gewesen, um Selbstkritik an sich zu üben. Wie arrogant von ihm zu glauben, allein seine Überzeugung sei die einzig Richtige! Aber er hatte die Demut, an der es ihm immer gemangelt hatte, schmerzlich gelernt. Das Schicksal hatte ihn für seine Fehler hart bestraft, aber es hatte ihm auch eine neue Chance gegeben.
***
Das noble St. Regis war zehn Tage vor Weihnachten zu einer Großbaustelle geworden. Eine ganze Armee von Innendekorateuren und Handwerkern arbeitete auf Hochtouren daran, das Foyer, den Ballsaal und die angrenzenden Konferenzräume in ein märchenhaftes Winterwunderland zu verwandeln. Mehrere LKW-Ladungen Kunstschnee, echte Tannenbäume, unzählige Lämpchen ließen schon jetzt erahnen, wie die Räume am Samstagabend aussehen würden. Die Leiterin der Arbeiten, eine junge Innenarchitektin mit strengem Gesicht, die ständig rauchte und das dunkle Haar zu einem Pferdeschwanz frisiert trug, lief mit einem Klemmbrett unter dem Arm durch das Hotel und hatte das Chaos im Griff. Sie dirigierte die Handwerker, die Elektriker, die für die raffinierte Beleuchtung zuständig waren, die Maler, die Zimmerleute und die Dekorateure.
»Hallo, Sharon«, Sergio lächelte erfreut, als er sah, welches Kunstwerk eigens für seinen Wohltätigkeitsball entstand, »Sie vollbringen tatsächlich Wunder.«
»Oh, Mr Vitali«, Sharon Capriati blickte ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Ehrfurcht an, »gefällt es Ihnen bisher? Sie sollten abwarten, bis es fertig ist.«
»Ich kann nicht abwarten«, Sergio schenkte ihr einen der Blicke, denen Frauen nur selten widerstehen konnten, wie er wusste. Die junge Frau warf ihm einen scharfen Blick zu, dann lachte sie, was ihr herbes Gesicht hübsch machte, und Sergio überlegte sich, wie sie wohl im Bett war. Er taxierte ihre festen,
Weitere Kostenlose Bücher