Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
für Vitali keine Möglichkeit mehr geben, sich diesem Vorwurf zu entwinden. Es war Viertel vor sieben, als Tate Jenkins in Begleitung von zwei Männern Connors Büro betrat.
»Die zwölf Stunden sind um, Connors«, sagte der stellvertretende Leiter des FBI mit einem gönnerhaften Lächeln, »wie weit sind Ihre Leute mit den Anklageschriften?«
»Fertig«, erwiderte der Staatsanwalt, »wenn Sie das Zeichen geben, können wir loslegen.«
»Gut«, Jenkins nickte zufrieden, »wie sieht Ihr Konzept aus?«
»Wir haben unterschriebene Schuldanerkenntnisse von 53 Bestochenen«, erklärte Connors. »Mit elf Leuten von der Liste haben wir bisher nicht gesprochen, Whitewater ist tot und Harding verweigert nach wie vor die Zusammenarbeit. Ich habe vor, überhaupt nichts zu tun.«
Das Lächeln erstarb auf Tate Jenkins’ Gesicht.
»Wie meinen Sie das?«
»Nach Rücksprache mit Mr Engels habe ich mich dazu entschlossen, die ganze Angelegenheit unter Ausschluss der Öffentlichkeitaufzuklären«, entgegnete Connors mit ruhiger Stimme. »Das Justizministerium ist mit mir einer Meinung, dass es besser ist, nicht zu viel Staub aufzuwirbeln. Gegen diejenigen, die zu einer Kooperation bereit sind, wird ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet, dem sie entgehen können, wenn sie die hinterzogenen Steuern nachzahlen. Den strafrechtlich relevanten Teil der Tat, die Bestechlichkeit im Amt, werden wir außer Acht lassen, wenn die Männer freiwillig von ihrem Posten zurücktreten und in Zukunft auch kein öffentliches oder politisches Amt mehr bekleiden.«
»Aber ...«, Jenkins klappte verblüfft der Mund auf, er suchte nach Worten.
»Engels hat mit Jordy Rosenbaum, dem Berater des Präsidenten, gesprochen«, fuhr der Staatsanwalt fort, »und der Präsident zieht diese stille Lösung einer emotionsgeladenen Diskussion in der Öffentlichkeit vor.«
Jenkins schwieg einen Moment. Die Erleichterung war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und in diesem Augenblick wusste Lloyd Connors mit Bestimmtheit, dass ihn sein Instinkt nicht getrogen und Nick ebenfalls Recht hatte. Es war unfassbar, aber Jenkins steckte mit Vitali unter einer Decke.
»Was ist mit Vitali?«, fragte Jenkins dann auch tatsächlich.
»Nichts«, Connors zuckte die Schultern, »was soll mit ihm sein? Kein einziger Verdachtsmoment lässt sich mit den derzeitigen Mitteln erhärten, und solange diese Frau nicht wieder auftaucht, werde ich den Teufel tun und eine Anklage vorbereiten, die schon im Ansatz aus Mangel an Beweisen abgeschmettert werden würde.«
Es war still in dem großen Büro.
»Nun ja«, Jenkins räusperte sich und lächelte dann, »mir scheint, dass mein Aufenthalt in New York nicht länger notwendig ist. Ich will aber über den Fortgang der Sache regelmäßig unterrichtet werden.«
»Selbstverständlich«, Connors nickte, »ich halte Sie auf dem Laufenden.«
***
Nick Kostidis stand auf dem Flur des 3. Stockwerks des Goldwater Memorial Hospital vor der Milchglastür der internistischen Privatstation und starrte aus dem Fenster. Seitdem er Alex in dieser heruntergekommenen Spelunke gefunden hatte, war eine Veränderung in ihm vorgegangen. Der Anblick ihres misshandelten Gesichts, die Angst und das Entsetzen in ihren Augen hatten ihn seinen eigenen Kummer vergessen lassen. Seit gestern Nacht verspürte er den unbändigen Wunsch, Sergio Vitali zu vernichten. Anders als früher war es ihm nicht mehr genug, den Mann ins Gefängnis zu bringen, nein, er empfand einen heißen, wütenden Zorn, eine wilde Rachsucht und das brennende Verlangen nach Vergeltung. Die Zeit der lähmenden Taubheit war vorbei und Nick wusste mit Bestimmtheit, dass er diesmal nicht zulassen würde, Vitali ungeschoren davonkommen zu lassen. Dieser Mann hatte seines und Alex’ Leben zerstört, dazu die Leben unzähliger anderer Menschen, und dafür musste er büßen. Die Sonne drang durch die dichte Wolkendecke und strahlte die Wolkenkratzer auf der anderen Seite des Flusses hinter dem United Nations Headquarter an. Irgendwo da drüben schlief Vitali in aller Seelenruhe und glaubte, Alex sei tot. So tot wie Mary und Christopher, wie Britney Edwards, David Zuckerman, Clarence Whitewater und Zachary St. John. Aber da hatte er sich geirrt. Alex lebte und würde ihren Schock überwinden. Und er, Nick Kostidis, würde alles tun, um sie bei ihrer Aussage gegen diesen gewissenlosen Verbrecher zu unterstützen. Nick fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Seine Augen brannten
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