Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
nicht wehren. Er hat auf einem Stuhl gesessen und zugesehen und er hat ... gelacht ... «
Ihre Stimme versagte. Sie wiegte sich hin und her, während die Tränen über ihr Gesicht strömten. Sie wischte sie nicht ab. Nick verspürte einen wilden, ohnmächtigen Zorn. Sergio Vitali, dieses brutale, gnadenlose Monster, dem ein Menschenleben nicht mehr bedeutete als das einer Kakerlake, hatte Alex zerstört. Nicks Herz krampfte sich zusammen, als er sich an den Ausdruck des Glücks auf ihrem Gesicht erinnerte, damals, am Strand von Montauk. Es schien Lichtjahre her zu sein. Und nun saß sie hier, so schrecklich misshandelt und mutlos.
»Komm mit mir, Alex«, Nick streckte seine Hand aus.
»Wenn er erfährt, dass ich noch lebe«, ihr Blick irrte durch den Raum, »dann wird er wieder versuchen, mich zu töten.«
»Ich werde auf dich aufpassen, das verspreche ich dir«, Nicks Stimme klang belegt von den Tränen, die in seiner Kehle steckten. Geduldig hielt er ihr seine Hand hin, bis Alex endlich zögernd ihre Hand von ihrem Knie löste und seine ergriff.
»Oh, Nick«, schluchzte sie plötzlich, »warum musste das alles passieren? Warum?«
Sie warf ihm die Arme um den Hals, drängte sich schluchzend an ihn und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.
»Ich passe auf dich auf, Alex«, Nick presste sein Gesicht in ihr Haar, »ich verspreche es dir, mein Herz. Ich werde dich beschützen.«
Er hielt sie ganz fest, wiegte sie in seinen Armen wie ein Baby und ließ sie weinen. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, hob er sie hoch und trug sie hinaus auf den Flur, wo die Dicke noch immer Wache hielt. Nick begegnete dem forschenden Blick der Frau.
»Danke«, sagte er schlicht, »danke für Ihre Hilfe.«
»Schon gut«, erwiderte die Dicke und streichelte Alex über das strähnige Haar, »passen Sie nur gut auf Sie auf.«
Er wandte sich ab und trug Alex die Treppe hinunter, an den Marshals vorbei hinaus zum Auto. Alex schmiegte sich in seine Arme. Obwohl es im Auto warm und sie in einer Wolldecke gehüllt war, zitterte sie am ganzen Körper. Nick murmelte unsinnige beruhigende Worte, wie man sie zu einem kleinen Kind oder einem jungen Hund sagt, aber am liebsten hätte er geweint, so abgrundtief war sein Mitleid mit ihr und so erleichtert war er, dass sie am Leben war.
»Wohin?«, fragte Deputy Spooner knapp.
»Ins Goldwater Memorial auf Roosevelt Island«, erwiderte Nick, »ohne großes Aufsehen, bitte.«
»Selbstverständlich, Sir «, entgegnete Spooner spitz. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Nick streichelte Alex’ geschundenes Gesicht und hielt sie in seinen Armen fest. Er suchte nach Worten, die sie trösten konnten, aber nach allem, was ihr angetan worden war, gab es keinen Trost. Zu gut erinnerte Nick sich an seine eigenen Empfindungen. In den Tagen nach Marys und Christophers Tod hatte er es nicht ertragen können, auch nur angesprochen zu werden. Die Lichter der Brooklyn Bridge erhellten unbarmherzig die Verletzungen in Alex’ Gesicht. Nick wünschte, er hätte ihr all das, was nun auf sie zukommen würde, ersparen können. Sie würde endlose Fragen über sich ergehen lassen müssen, von der Staatsanwaltschaft, der Strafverfolgungsabteilung der Börsenaufsichtsbehörde, der Kriminalpolizei, den Ärzten und vor allen Dingen von diesem bleichgesichtigen, gefühllosen Kerl vom FBI. Immer wieder würde man sie zwingen, sich an das zu erinnern, was sie wahrscheinlich amliebsten vergessen würde. Oft genug hatte Nick als Staatsanwalt selbst solche Fragen gestellt, die ein Vergessen unmöglich machten. Er hatte nie gewusst, wie schmerzvoll und brutal diese Fragen sein konnten, bis er es am eigenen Leib erfahren hatte.
***
Die Nachricht, dass Alex wieder aufgetaucht war, versetzte Lloyd Connors in eine wahre Euphorie. Vergessen waren Müdigkeit und Erschöpfung. Er und seine Mitarbeiter arbeiteten mit Feuereifer die Nacht hindurch bis zum Morgen an der Anklage gegen Sergio Vitali. Zwar lastete auf Alex immer noch der Verdacht des Mordes, den man erst entkräften musste, um sie zu einer glaubwürdigen Belastungszeugin zu machen, aber die Aussagen von Oliver Skerritt würden Vitalis Schuld bezeugen, dazu die Unterlagen von St. John und nicht zuletzt das Geständnis von Nelson van Mieren, das durch die Tatsache, dass Alex lebte, ein unerwartetes Gewicht bekam. Alex war Zeugin eines Gespräches geworden, in dem ein gedungener Mörder Vitali Bericht vom erfüllten Mordauftrag an David Zuckerman erstattet hatte. Es würde
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